Guter Kunde oder schlechter Kunde? Früher reichten Unternehmen ein paar Standardmerkmale, um eine verlässliche Risikoeinschätzung vornehmen zu können. Heute setzt ein Spezialist wie Boniversum hochkomplexe Analysemethoden ein, um Informationen über Verbraucher zu bewerten und Forderungsausfälle auf ein Minimum zu reduzieren.
Besonders stressig ist es für Nick Bredford in den Wochen vor Weihnachten. Dann muss der Paketfahrer im Großraum Düsseldorf bis zu 200 Lieferungen pro Tag zustellen. Seinen Kleinlaster parkt der gebürtige Brite, der in Wirklichkeit anders heißt, häufig in zweiter Reihe. Es muss schnell gehen. Der Kunde wartet. Die Zeitfenster für die Auslieferung der Pakete werden immer kleiner. Wie gut, dass vor den Häusern, die Bredford anfährt, mitunter schon jemand auf ihn wartet. Der Zusteller springt aus dem Wagen, lässt sich rasch die Übergabe des Pakets quittieren und weiter geht es.
Meistens hat dabei alles seine Richtigkeit: Der Paketempfänger hat unter seiner echten Identität Ware geordert, persönlich entgegengenommen und dies mit seiner Unterschrift bestätigt. Manchmal läuft die Sache aber auch anders: Ein Betrüger kundschaftet Identitätsmerkmale eines Dritten aus und nutzt sie, um gegen Rechnung online Ware zu bestellen. Er postiert sich zum angekündigten Lieferzeitpunkt vor dem Haus, lässt sich das Paket übergeben und unterzeichnet mit fremdem Namen. Die Rechnung erhält später derjenige, dessen Identität entwendet wurde.
Leichtes Spiel für Betrüger
Identitätsdiebstahl wird immer mehr zu einem Problem. „Wenn im Onlinehandel Versand und Zustellung immer schneller gehen sollen, steigt auch das Betrugsrisiko. Moderne Diebe lassen sich ihre Beute frei Haus liefern“, beobachtet Ralf Zirbes, Geschäftsführer der Creditreform Boniversum GmbH. Boniversum bietet Verbraucherinformationen und integrierte Risikomanagementlösungen für die kreditgebende Wirtschaft, insbesondere für Versandhändler, Onlineverkäufer und Touristikunternehmen – immer häufiger aber auch für Banken, Versicherungen sowie für große Wohnungsgesellschaften.
» Welche Informationen Unternehmen am wirkungsvollsten vor Zahlungsausfall oder Betrug schützen, kann je nach Branche ganz unterschiedlich sein. «
Ralf Zirbes, Boniversum
Der durch missbräuchliche Nutzung personenbezogener Daten entstehende Schaden ist gewaltig. Nach einer Untersuchung der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC zum Thema „Cyber Security“ ist bereits jeder dritte Deutsche schon einmal Opfer von Identitätsdiebstahl im Internet geworden. Dabei haben drei von zehn Betroffenen einen
finanziellen Verlust erlitten – von durchschnittlich 1.366 Euro. Die Studie belegt: Je häufiger jemand im Internet einkauft, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Identitätsdiebstahls zu werden. Das kann damit zusammenhängen, dass Verbraucher bei zunehmender Nutzung des Internets unvorsichtiger werden. „Produktnutzen schlägt Datenschutz“, beobachtet Boniversum-Geschäftsführer Zirbes. Soll heißen: Je attraktiver der Kunde die angebotene Ware oder Dienstleistung empfindet, umso bereitwilliger gibt er bei der Bestellung auch sensible Daten preis. Das macht es Betrügern leichter. „Den meisten Betroffenen fällt der Betrug erst auf, wenn sie Rechnungen für Einkäufe erhalten, die sie nie getätigt haben, oder wenn sie auf ihrem Kontoauszug falsche Abbuchungen bemerken“, heißt es in der PwC-Untersuchung.
Wer einmal Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden ist, agiert vorsichtiger. „Betroffene achten stärker auf Sicherheitsvorkehrungen beim Onlinekauf. Sie bevorzugen Bezahlverfahren, bei denen sie keine Kreditkartendaten angeben müssen, also zum Beispiel den Kauf auf Rechnung (mit einem Marktanteil von 28 Prozent die beliebteste Bezahlvariante im Jahr 2017) oder über Paypal (Marktanteil 19,9 Prozent). Und sie kaufen verstärkt bei zertifizierten und bekannten Onlinehändlern ein“, berichtet Derk Fischer, Cyber-Security-Experte bei PwC.
Was sind gute Kunden?
Wie können sich Unternehmen dagegen schützen, dass moderne Diebe unter Nutzung einer falschen Identität oder auf andere betrügerische Weise bei ihnen Waren bestellen? Vor 15 Jahren war die Sache vergleichsweise einfach: Als „gute Kunden“ galten diejenigen, die keine Negativmerkmale aufwiesen. „Heute prüfen und analysieren wir bei Boniversum eine Vielzahl von Daten, bevor wir für einen Kunden das Prädikat ‚gut‘ vergeben“, erläutert Geschäftsführer Zirbes. Eine solche Datenanalyse berücksichtigt etwa die Tageszeiten, zu denen ein Kunde seine Bestellungen aufgibt. Wer beispielsweise um 12 Uhr ordert, wird positiver beurteilt als jemand, der um 24 Uhr bestellt. Dahinter steht die Überlegung, dass der 12-Uhr-Besteller möglicherweise seine Mittagspause für Interneteinkäufe nutzt – er oder sie also einen Job hat, was das Risiko des Zahlungsausfalls verringert. Vom Mitternachtssurfer lässt sich dies dagegen weniger sicher sagen. Ein anderes Merkmal ist der Warenkorb: Wer über einen längeren Zeitraum ausschließlich im Preis reduzierte Waren kauft, deren Bestellwert eine bestimmte Summe nicht überschreitet, gerät unter besondere Beobachtung, wenn er plötzlich sehr viel teurere Artikel ordert, deren Kauf seinen üblichen finanziellen Rahmen unter Umständen deutlich übersteigt.
Vom Daten- zum Lösungsanbieter
„Bei manchen unserer Kunden fließen bis zu 400 Merkmale in die Kundenbewertung ein. Welche Informationen Unternehmen am wirkungsvollsten vor Zahlungsausfall oder Betrug schützen, kann je nach Branche ganz unterschiedlich sein“, sagt Zirbes. Basis der Produkte von Boniversum ist ein branchenübergreifender Datenpool mit bonitätsrelevanten Zahlungsdaten zu Privatpersonen. Dieser Pool kann in Absprache mit den Kunden mit weiteren Daten angereichert werden. „Die Daten an sich sind jedoch nicht intelligent. Die Herausforderung besteht darin, die gesammelten Informationen mit geeigneten Analysetechniken zu bewerten und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen – und das möglichst zeitnah“, betont der Geschäftsführer. Somit entwickelt sich Boniversum für seine Kunden immer weiter – vom Daten- zum Lösungsanbieter.
Bei den Algorithmen der Analysemethoden lässt sich Boniversum freilich nicht in die Karten schauen. Aus gutem Grund: Anderenfalls wüssten Betrüger, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen, um das System auszutricksen. Klar ist jedoch, dass in einem so komplexen Bewertungssystem die Bedeutung einzelner Merkmale wie beispielsweise Lebensalter oder Wohnort eines Kunden schwindet. Immer häufiger erhält Boniversum Anfragen von Verbrauchern, deren Bestellungen abgelehnt wurden. Sie bitten um eine Selbstauskunft (die wegen des erhöhten Identitätsrisikos grundsätzlich nicht per E-Mail, sondern per Post verschickt wird) und möchten wissen, wie sie ihre Bonität verbessern können. „In diesen Fällen können wir nur raten, Rechnungen pünktlich zu bezahlen, Inkassofälle zu vermeiden und zu prüfen, ob die Adresse aktuell ist“, sagt Zirbes.