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Creditreform

Im fortwährenden Kampf gegen Steuerhinterziehung haben die Finanzbehörden mit ihrem länderübergreifenden Informationsaustausch über ausländische Kapitaleinkünfte eine wichtige Hürde genommen. Jetzt soll dem Umsatzsteuerbetrug durch schnelle Gegenmaßnahmen Einhalt geboten werden.

Seit Einrichtung des EU-Binnenmarktes sehen sich die Mitgliedstaaten mit erheblichen Umsatzsteuerausfällen konfrontiert – nicht zuletzt auch durch Karussellgeschäfte. Diese basieren auf einem ebenso simplen wie effektiven Erfolgsprinzip: Während die in Rechnung gestellten Vorsteuern für ein fingiertes oder bisweilen gar tatsächliches Geschäft von den Finanzbehörden mehr oder weniger zeitnah erstattet werden, meldet der leistende Unternehmer die anfallenden Umsatzsteuerbeträge einfach nicht an.

Zur Verhinderung derartiger Betrügereien favorisieren die deutschen Finanzbehörden das sogenannte Reverse-Charge- Verfahren. Dabei zahlt der Auftraggeber dem leistenden Unternehmer lediglich den in Rechnung gestellten Nettobetrag und führt die daraufentfallende Umsatzsteuer in seiner eigenen Voranmeldung auf. Steuerehrliche Auftraggeber erleiden durch die Verlagerung der Umsatzsteuerschuldnerschaft hin zum Leistungsempfänger zumindest keine finanziellen Nachteile oder Liquiditätsengpässe. Ganz im Gegenteil: Sofern der Umsatz für den unternehmerischen Bereich des Leistungsempfängers erbracht wurde, darf der beim eigenen Finanzamt anzumeldende Umsatzsteuerbetrag zeitgleich als Vorsteuer abgezogen werden.

Trotzdem bereiten die stetige Ausweitung des Reverse- Charge-Verfahrens auf immer neue Branchen, Güter und Dienstleistungen und die damit verbundenen Abgrenzungsfragen in der Praxis erhebliche Probleme. Denn die Flut der dadurch erforderlichen Klarstellungen in immer neuen Anwendungsschreiben der Finanzbehörden lassen sich von den betroffenen Unternehmen – wenn überhaupt – nur mit erheblichem Aufwand zeitnah umsetzen.

Mehr Tempo für die Finanzbehörden

Dies dürfte auch für die jüngst im Zollkodexanpassungsgesetz eröffnete Möglichkeit zur kurzfristigen Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Betrugsverdacht gelten. Der sogenannte Schnellreaktionsmechanismus (§ 13b Absatz 10 UStG) soll den Finanzbehörden ab 2015 helfen, auf die ständigen Ausweichmanöver der Umsatzsteuerbetrüger zeitnäher reagieren zu können. Völlig frei und ohne zeitlichen Vorlauf dürfen sie aber auch künftig nicht handeln: Voraussetzung für die Erweiterung der Umsatzsteuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ist der Verdacht auf Steuerhinterziehung in vielen schweren Fällen mit voraussichtlich erheblichen und unwiederbringlichen Steuerausfällen. Hinzu kommen muss eine Bestätigung der Europäischen Kommission, dass sie keine Einwände gegen die beabsichtigte nationale Maßnahme erhebt.

Doch unabhängig von dieser Einverständniserklärung steht zu befürchten: Wie in der Vergangenheit wird eine erneute Ausweitung des Reverse-Charge-Verfahrens sicherlich nicht lange auf sich warten lassen. Und es werden die mehrheitlich seriösen Unternehmen darunter zu leiden haben. Zwecks rechtzeitiger Anpassung ihrer Geschäftsprozesse – dazu zählt insbesondere die Rechnungsstellung – kommen sie wohl nicht umhin, die Vorgehensweise der Finanzbehörden ständig im Auge zu behalten. An dieser Notwendigkeit ändert auch die mittlerweile im Umsatzsteuergesetz verankerte Nichtbeanstandungsregelung wenig, nach der die Finanzämter eine fälschliche Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens bei beiden Geschäftspartnern im Nachhinein akzeptieren müssen – jedenfalls in den Fällen, in denen der Umsatz vom Leistungsempfänger in zutreffender Höhe versteuert wurde. Dieser Vertrauensschutz ist derzeit beschränkt: auf Bauleistungen, auf Lieferungen von Erdgas und Elektrizität durch inländische Unternehmen, auf Lieferungen von Industrieschrott, Altmetallen und Abfall, auf Gebäudereinigungsleistungen, auf Goldlieferungen sowie auf Lieferungen von Metallen oder Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern und integrierten Schaltkreisen. Ob Verstöße gegen künftige Schnellreaktionstatbestände ebenso tolerant gehandhabt werden, steht dagegen völlig offen.

 

DIE AKTUELLE RECHTSLAGE

Obwohl andere EU-Mitgliedstaaten eine generelle Umsatzsteuerschuldnerschaft des Auftraggebers nach wie vor strikt ablehnen, lässt die maßgebliche Mehrwertsteuer- Systemrichtlinie für bestimmte Umsätze und Risikobranchen durchaus eine Verlagerung der Umsatzsteuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger zu oder schreibt dies sogar vor. So listet das deutsche Umsatzsteuergesetz (§ 13b UStG) mittlerweile zwölf Tatbestände auf, bei denen unternehmerisch tätige Leistungsempfänger ihrem zuständigen Finanzamt die anfallende Umsatzsteuer schulden. Hier die neuesten Änderungen:

• Die Regelung gilt für Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, sofern der Leistungsempfänger selbst nachhaltig derartige Leistungen erbringt: Wie ursprünglich bereits bei Einführung dieses Reverse-Charge- Tatbestands vorgesehen, ist es seit Oktober 2014 für die Anwendung wieder unmaßgeblich, ob der Leistungsempfänger die im Einzelfall bezogene Bauleistung für eine von ihm selbst erbrachte Bauleistung verwendet. Vielfach unbekannt ist zudem, dass die Verlagerung der Umsatzsteuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger auch bei Werklieferungen von Photovoltaikanlagen greift, sofern die Anlagen an einem Gebäude oder Bauwerk installiert werden (Anwendungsschreiben des Bundesministeriums der Finanzen, Az.: IV D 3 – S 7279/13/10001).

• In Sachen Reinigung von Gebäuden und Gebäudeteilen gilt, sofern der Leistungsempfänger selbst derartige Leistungen erbringt: Auch hier spielt es keine Rolle mehr, ob der Leistungsempfänger die im Einzelfall bezogene Gebäudereinigungsleistung für eine von ihm selbst erbrachte Gebäudereinigungsleistung verwendet.

• Bei Lieferungen von Edelmetallen, unedlen Metallen, Selen und Cermets (Verbundwerkstoffe aus keramischen und metallischen Werkstoffen) gilt: Wie bei Mobilfunkgeräten haben die Finanzbehörden den Forderungen der Wirtschaftsverbände schließlich doch noch entsprochen und ab dem 1. Januar 2015 auch hier eine Bagatellgrenze von 5.000 Euro pro wirtschaftlichem Vorgang eingeführt. Darüber hinaus wurde die Nichtbeanstandungsregelung auf Lieferungen bis einschließlich 30. Juni 2015 erweitert.

• In puncto Differenzbesteuerung ist zu beachten: Seit Oktober 2014 werden Empfänger von Lieferungen sicherungsübereigneter Gegenstände – von Industrieschrott, Altmetallen und Abfall, Gold, Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern, Spielekonsolen und integrierten Schaltkreisen sowie Edelmetallen, unedlen Metallen und Cermets – nicht mehr zum Steuerschuldner, sofern die Geschäftspartner von der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG Gebrauch machen. Bei diesem Verfahren unterliegt beim Weiterverkauf gebrauchter, von einem nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Verkäufer erworbener Gegenstände lediglich der Unterschiedsbetrag zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis der Umsatzsteuer. Der nachvollziehbare Hintergrund dieser aktuellen Änderung liegt auf der Hand: Eine Anwendung des Reverse- Charge-Verfahrens ist dem Leistungsempfänger mangels Kenntnis der Einkaufspreise bei Differenzbesteuerung schlicht unmöglich.