Mit dem „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ – kurz ESUG – wurde der Fortführung erhaltungswürdiger Unternehmen Vorrang vor einer Zerschlagung zugunsten der Gläubiger eingeräumt. Doch jetzt rächt sich die Streichung der gesetzlichen Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen.
Sanierungen haben ein Ziel: insolvente Unternehmen vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und sie wieder ertragsfähig zu machen. Die rechtliche Grundlage dieser Aufgabe ist die Insolvenzordnung (InsO). Ihre Einführung im Januar 1999 sollte vor allem außergerichtliche Sanierungsmaßnahmen voranbringen. Doch nahezu zeitgleich wurde die bis dato gesetzlich garantierte Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen ersatzlos gestrichen.
Als Sanierungsgewinn wird die Erhöhung des Betriebsvermögens bezeichnet, die durch jeglichen Schuldenerlass im Sanierungsfall zwangsläufig entsteht. Der Wegfall der Steuerbefreiung hatte schwerwiegende Konsequenzen: Einigte sich ein überschuldetes oder von Zahlungsunfähigkeit bedrohtes Unternehmen mit seinen Gläubigern, musste es den durch Forderungsverzichte entstandenen Gewinn nun in vollem Umfang versteuern. Doch das zog weiteren Finanzierungsbedarf nach sich – und hielt am Ende viele Gläubiger davon ab, einer Sanierung tatsächlich zuzustimmen.
Stundung auf Antrag
So sah sich die Finanzverwaltung letztlich zur Kompensation der negativen Auswirkungen gezwungen. Der Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) zur ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen (BMF-Schreiben vom März 2003, Az.: IV A 6 – S 2140 8/03, ergänzt im Dezember 2009) wies die Finanzämter an, alle auf Sanierungsgewinne entfallenden Ertragsteuern unter Widerrufsvorbehalt zu stunden – vorausgesetzt, der Unternehmer stellte einen entsprechenden Antrag. Der endgültige Steuererlass hing vom Ergebnis einer abschließenden Prüfung ab. Doch auf die beantragte Steuerbegünstigung durften nur jene Unternehmen hoffen, die sanierungsbedürftig und sanierungsfähig waren. Zudem setzten die Finanzbehörden ausdrücklich voraus, dass der Schulderlass notwendig für die Fortführung des Geschäftsbetriebs war.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
Doch mit dieser BMF-Verwaltungsanweisung wurde die vom Gesetzgeber abgeschaffte Steuerbefreiung durch die Hintertür wieder eingeführt. Deshalb bezweifelte bereits kurz nach Veröffentlichung nicht nur das Finanzgericht München an der Verfassungsmäßigkeit des Sanierungserlasses.
Doch schließlich war es der Bundesfinanzhof (BFH), der der Finanzverwaltung volle Rückendeckung gab. Er stellte im Juli 2010 (Az.: X R 34/08) lediglich klar, dass ein Schulderlass stets ausgeschlossen ist, wenn die von der Verwaltung formulierten Voraussetzungen, wie insbesondere eine Sanierungseignung, nicht erfüllt sind.
Doch im November 2016 setzte der BFH mit einem weiteren Beschluss zum Thema zu einer überraschenden Kehrtwende an (Az.: GrS 1/15): Nunmehr verstößt der Sanierungserlass nach Ansicht des Großen Senats sehr wohl gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Die Begründung: Die darin enthaltenen steuerlichen Billigkeitsmaßnahmen würden den sonst üblichen Ermessensspielraum des Finanzamts typisierend auf null beschränken – und damit einen Anspruch des Unternehmens auf den beantragten Steuererlass begründen.
Allerdings stellte der BFH auch klar, dass Billigkeitsmaßnahmen auf Grundlage einer bundeseinheitlichen Verwaltungsanweisung generell durchaus zulässig sind – sofern in jedem Einzelfall tatsächlich ein Billigkeitsgrund für die Ausnahme nachgewiesen werden kann. Zudem stehe die Rechtsprechungsänderung einem Erlass aus persönlichen Gründen ausdrücklich auch weiterhin nicht entgegen.
Schnelle Gegenreaktion
Auf diesen Vorstoß reagierten die Finanzbehörden ungewohnt zügig: Schon im April 2017 veröffentlichte das Bundesfinanzministerium eine Vertrauensschutzregelung für betroffene Unternehmen und wies in einem Schreiben (Az.: IV C 6 – S 2140/13/10003) die deutschen Finanzämter an, den Sanierungserlass in Altfällen weiterhin uneingeschränkt anzuwenden. Jedoch immer unter der Voraussetzung, dass alle an der Sanierung beteiligten Gläubiger auf ihre Forderungen bis zum 8. Februar 2017 – dem Tag der Veröffentlichung des BFH-Beschlusses vom November 2016 – verzichtet haben. In den übrigen Fällen dürfen die auf den Sanierungsgewinn entfallenden Steuern lediglich unter Widerrufsvorbehalt gestundet, aber keinesfalls erlassen werden.
Noch schneller reagierte die Gesetzgebung auf die BFH-Kehrtwende: Im März 2017 legte der Bundesrat einen Gesetzentwurf vor, der inzwischen mit einigen Änderungen vom Bundestag beschlossen wurde. Darin sind einige Verbesserungen enthalten, beispielsweise die Maßgabe, dass Verlustvorträge nicht vollständig wegfallen. Und anders als bei der alten Gesetzeslage haben Unternehmen nun künftig auch bei der Gewerbesteuer einen Anspruch auf die Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns. Der einzige Wermutstropfen: In Kraft treten kann das Gesetz erst, wenn die Europäische Kommission die Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht bestätigt hat.