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Das, was bei DAX-Unternehmen heute schon beinahe normal ist, wird auch immer mehr zum Alltag im deutschen Mittelstand: Die Karrieren der Chefs auf der ersten und zweiten Führungsebene werden immer kürzer.

Sie erinnern sich: Roland Koch musste seinen Posten als Vorstandsvorsitzender bei Bilfinger bereits nach rund drei Jahren wieder räumen. Gerade haben gleich zwei Chefredakteure deutscher Leitmedien im Abstand von Tagen ihre Demission erfahren – nach nur wenigen Monaten im Amt. Und Klaus Deller konnte die Arbeit als Chef der Schaeffler-Gruppe gar nicht erst aufnehmen.

Allzu häufig wird in den Medien damit argumentiert, Kandidaten seien „nie angekommen“ oder hätten nicht „ausreichend kommuniziert“. Diese Analytik kratzt gerade einmal an der Oberfläche und verstellt den Blick darauf, worum es in der Wirtschaft aktuell wirklich geht: Maximaler Veränderungszwang in einer sich ständig schneller wandelnden Welt der Globalisierung und Digitalisierung. Veränderungen sind im Vergleich zu vergangenen Dekaden heute keine Einzelprojekte mehr, mit fest definiertem Beginn und Ende und singulärem Themenfokus. „Change“ ist vielmehr permanent geworden: Unternehmen werden nicht mehr graduell weiter entwickelt, sondern müssen dauerhaft und mehrdimensional an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Diesen veränderten Anforderungen kann nicht jede Unternehmensführung gleich gut begegnen.

Denn: Der ersten und zweiten Führungsebene fehlt in vielen Fällen das notwendige Change-Know-how zur Gestaltung eines tiefgreifenden strukturellen Wandels. Neben den kompetenzseitigen Anforderungen an ein professionelles Change Management fehlt vielen Führungskräften häufig die Sensibilität für das richtige Tempo und das richtige Timing einer Veränderung. In der Praxis beobachten wir, dass Führungskräfte Change Prozesse immer wieder mit einem viel zu hohen Anspruch an Gesamt- oder Etappenziele durchführen. Sie verordnen sich selbst und ihrer Organisation ein derart hohes Tempo, dass sie wichtige inhaltliche Punkte übersehen – oder die Bedürfnisstrukturen von Einzelnen oder Gruppen nicht zielsicher erkennen und so den Gesamterfolg des Prozesses gefährden.

Welchen Reifegrad hat Ihr Unternehmer erreicht?

Elementar für den Erfolg von Change Prozessen ist das Bewusstsein, welchen Reifegrad die eigene Organisation beim Beginn eines Change-Prozesses hat — und welcher Reifegrad als Zielfoto realistisch ist. DAX-Konzerne oder Start-up-Unternehmen haben häufig ganz andere Herausforderungen zu bewältigen als familiengeführte Mittelständler. Während zum Beispiel DAX-Konzerne häufig durch Gremien geführt werden und in Neugründungen häufig das Prinzip des kreativen Chaos herrscht, sind viele Mittelstandsunternehmen heute noch starr hierarchisch auf den Inhaber oder die Geschäftsführung ausgerichtet. Mit entscheidenden Implikationen in Richtung des Change Managements.

Die Kunst ist es, nach der analytischen Erfassung des Reifegrads und Führungsmodells dann bewusst die richtigen Entscheidungen für eine Change-Architektur zu treffen: Sowohl was die zeitliche Dimension, die Einbindung der relevanten Akteure, die inhaltliche Breite als auch die grundlegende Zieldefinition angeht. Die „Künstler“ müssen dafür Manager sein, die diese Komplexität erfassen, verarbeiten und dann mit ihr umgehen können – sowohl in der Strategiedefinition als auch der operativen Umsetzung. Nur diese Führungspersönlichkeiten werden aus dem aktuellen Muster der kurzlebigen Manager-Karrieren ausbrechen können.