Familienunternehmen im Osten ticken anders. Denn die Zeitrechnung der privatwirtschaftlichen Entwicklung beginnt in Ostdeutschland erst 1990. Und so stehen viele Unternehmen genau jetzt an der Schwelle zur zweiten Generation. Es steht eine Welle von Staffelstabübergaben bevor, die rasch geplant und angeschoben werden müssen.
Von den 4.445 größten deutschen Familienunternehmen haben nur 300 ihren Sitz in Ostdeutschland. Und der Großteil von ihnen beschäftigt weniger als 20 Mitarbeiter. Wie kommt das? Während viele Familienunternehmen im Westen eine jahrzehntelange Geschichte hinter sich haben, beginnt die Zeitrechnung der privatwirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland erst 1990. Und so blicken die meisten ostdeutschen Familienunternehmen jetzt auf ihre erste Generation zurück, mit vielen Erfolgsgeschichten: Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH, IFA ROTORION-Holding GmbH, Bauerfeind AG, PDGroup GmbH, Dresdner Kühlanlagenbau GmbH. Sie alle und viele weitere haben es geschafft, sich direkt nach dem Mauerfall als Familienunternehmen (neu) zu erfinden und erfolgreich fortgeführt zu werden. Doch es gibt auch weiterhin Herausforderungen.
Nicht an der Nachfolge scheitern
In der Aufbauphase ist eine starke Unternehmerpersönlichkeit gefragt. Jetzt stehen die Familienunternehmen in Ostdeutschland an der Schwelle zur zweiten Generation und steuern auf ein massives Führungsproblem zu. Viele, die nach der Wende mit einem Unternehmen starteten, waren um die 40 Jahre alt – heute sind sie also Mitte 60 oder älter und brauchen dringend einen Nachfolger. Meine Erfahrung aus der Beratung von Familienunternehmen ist: Es steht Welle von Staffelstabübergaben bevor, die nun rasch geplant und angeschoben werden müssen. Viele Unternehmer suchen händeringend Rat zu den Themen Erbschaftsteuer und Nachfolgeregelung – sie wollen wissen, wie sie ihr Familienunternehmen erfolgreich übertragen können.
Für ostdeutsche Familienunternehmen ist es jedoch vergleichsweise schwer, kompetente Unternehmenslenker zu finden, die in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern eine große dauerhafte Aufgabe suchen. Dabei steht fest: Erfolg im Osten basiert auf hoher regionaler Verwurzelung und der Notwendigkeit, über die Grenzen der ostdeutschen Bundesländer hinauszuschauen. Doch fähige Macher ‚von hier’ sind schwer zu finden, und DiMiDo-Chefs aus dem Westen oder den ostdeutschen Oberzentren sind selten die Lösung. Der Chef eines Familienunternehmens muss mit Herz und Kopf dabei und nicht nur an drei Tagen in der Woche vor Ort sein.
Gute Aussichten durch Gründerkultur im Osten
Wir werden als Berater oft nach Übergangslösungen etwa durch ein Interimsmanagement gefragt. Denn vielen Unternehmenslenkern fehlt das Netzwerk oder auch das Interesse ihrer nachfolgenden Generation, das Unternehmen übernehmen zu wollen – zudem beginnen die Gründer von damals häufig zu spät mit der Planung des Übergabevorgangs.
Ostdeutsche Unternehmer regeln die Dinge gern selbst. Expertenrat von außen wird weniger in Anspruch genommen. Mit Blick auf die heutigen komplexen Herausforderungen kann das sogar zum Hemmschuh werden: Digitalisierung, Internationalisierung oder Entwicklung der Arbeitgebermarke – hier haben ostdeutsche Familienunternehmen im Vergleich zum Westen noch Nachholbedarf. Für gute wirtschaftliche Aussichten sorgt hingegen die Gründerkultur im Osten. Neben Berlin ist insbesondere Leipzig mit der Handelshochschule (HHL) Leipzig ein starker Forschungs- und Wissenschaftsstandort geworden. Aus Ausgründungen der HHL wächst eine lebendige Start-up-Szene heran. Die Gründerszene etabliert sich und kann somit auch der Mittelstand von morgen werden.