Die mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft wird gern und zu Recht als ein Alleinstellungsmerkmal herausgestellt, das den Erfolg des „Modells Deutschland“ ausmacht. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass dies vor allem für jene größeren Mittelständler oder „Mid Caps“ zutrifft, die von der EU bereits pauschal den Großunternehmen zugerechnet werden.
Diese Unternehmen mit 250 bis 3.000 Mitarbeitern zählen aufgrund der engen EU-Schwellenwerte nicht zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU); sie sind aber trotzdem zumeist mittelständisch geprägt, da sie eigentümergeführt sind oder die Eignerfamilie einen bestimmenden Einfluss auf die Unternehmensleitung ausübt. In Deutschland rechnet man diese Firmen daher üblicherweise dem Mittelstand zu, während die EU in ihren Regularien oberhalb der KMU nur Großunternehmen kennt – egal, ob es sich um einen Konzern mit mehreren 10.000 Beschäftigten handelt oder einen Familienbetrieb auf der schwäbischen Alb mit 270 Mitarbeitern.
Hierzulande waren diese mittelgroßen Unternehmen in den vergangenen Jahren aber die Träger des Wachstums, wie eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt. Deutschland zählte 2016 bereits fast 14.100 Mid Caps. Auffällig ist die Stärke des Beschäftigungsaufbaus: Die mittelgroßen Unternehmen hatten 2016 circa 8,9 Millionen Mitarbeiter, dies waren 38 Prozent mehr als 2003. In diesem Jahr begann der Aufbau des Unternehmensregisters beim Statistischen Bundesamt, das Untersuchungen nach Beschäftigtengrößenklassen ermöglicht. Am stärksten hinzugewonnen haben dabei die mittelgroßen Mid Caps mit 1.000 bis 2.000 Beschäftigten, bei denen sowohl die Anzahl der Unternehmen wie auch ihre Mitarbeiterzahl um etwa die Hälfte gestiegen sind. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der Stellen in Klein- und Großunternehmen jeweils um etwa ein Fünftel.
Die Anzahl der KMU mit weniger als 250 Mitarbeitern ist mit fast 3,5 Millionen zwar wesentlich größer als die der Mid Caps, sie ist aber seit 2003 um weniger als ein Zehntel gestiegen und war zuletzt sogar rückläufig. Die vergleichsweise kleine Gruppe der Großunternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten verzeichnete ein Wachstum von rund 23 Prozent auf nunmehr 539 Firmen.
Knapp ein Drittel der Mid Caps gehört der Industrie an. Viele von ihnen sind exportstarke Unternehmen, die sich auf ein Spezialprodukt oder eine Marktnische spezialisiert haben und ihre innovativen Produkte weltweit vermarkten. Aber auch andere Wirtschaftszweige bieten Potenzial für mittelgroße Unternehmen: Das Gesundheits- und Sozialwesen und die weiteren persönlichen Dienstleistungen sind der zweitwichtigste Sektor vor den wirtschaftsnahen Dienstleistungen an dritter Stelle, die ebenfalls oft international aufgestellt sind.
Dass so viele deutsche Mittelständler aus der EU-Definition für KMU herausfallen, kann durchaus ein Problem darstellen: Viele Förderprogramme sind auf KMU zugeschnitten, zudem müssen Mid Caps bereits großunternehmensspezifische Auflagen erfüllen, ohne auf eigene Rechtsabteilungen zurückgreifen zu können. Gerade im Bereich der Forschungs- und Entwicklungsförderung erscheint eine zu eng auf KMU ausgerichtete Förderpolitik nicht zielführend. Im Innovationsbereich gibt es positive Externe Effekte durch die Innovationsdiffusion, die generell eine gute Begründung für eine Unterstützung durch die Politik bilden. Ganz konkret geht es aber auch darum, internationalen Wettbewerbern in China oder den USA, die starke staatliche Protektion erhalten, weiterhin Paroli bieten zu können.
Damit der größere deutsche Mittelstand auch zukünftig so erfolgreich bleibt, sollten die Größenschwellen flexibilisiert werden und in der EU künftig Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern als KMU gelten. Doch damit ist es noch nicht getan: Auch Mid Caps mit bis zu 3.000 Beschäftigten oder zumindest größere Familienunternehmen sollten an den nationalen und europäischen Programmen zur Forschungsförderung leichter partizipieren können. Es gibt nämlich Hinweise darauf, dass der Anteil kontinuierlich forschender Unternehmen im KMU- und Mid Cap-Bereich rückläufig ist. Diesem bedenklichen Trend muss entgegengewirkt werden, auch durch eine steuerliche Forschungsförderung, die nicht bei 250 Beschäftigten abschneidet, sondern den größeren Mittelstand einbezieht.
Zum Autor:
Prof. Michael Hüther, geboren am 24.04.1962 in Düsseldorf, absolvierte von 1982 bis 1987 sein Studium der Wirtschaftswissenschaften sowie der mittleren und neuen Geschichte an der Uni Gießen. 1991 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Jahr 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt. Seit August 2001 ist er Honorarprofessor an der EBS Business School in Oestrich-Winkel. Seit Juli 2004 ist er Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
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