Die kommende Legislaturperiode wird die letzte sein, in der Deutschland in demografischer Hinsicht gut dasteht. Denn die Generation der Babyboomer ist dann überwiegend noch erwerbstätig. Danach werden die geburtenstarken Jahrgänge in Rente ge-hen. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters erscheint dann unumgänglich.
Wer den Politikern der großen Parteien im Wahlkampf zuhört, könnte den Eindruck gewinnen, es gäbe momentan keine großen wirtschaftspolitischen Aufgaben. Zukunftsweisende Ideen und langfristige Strategien fehlen; der Wohlstand wird verwaltet. Tatsächlich liegt die Beschäftigung auf Rekordniveau, die Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Stand seit der Wie-dervereinigung und die öffentlichen Haushalte erzielen Überschüsse. Auch die Aussichten für die nächsten Jahre sind positiv.
Und dennoch muss gehandelt werden. Die kommende Legislaturperiode wird die letzte sein, in der Deutschland in demografischer Hinsicht gut dasteht. Denn die Generation der Babyboomer ist noch erwerbstätig. Danach werden die geburtenstarken Jahrgänge, geboren vor 1965, nach und nach in Rente gehen. Da zudem die Lebenserwartung steigt, wird der Anteil der über 67-Jährigen an der Gesamtbevölkerung bis 2035 von derzeit knapp 18 auf rund 26 Prozent steigen. Die nach wie vor hohe Zuwanderung führt zwar dazu, dass die Gesamtbe-völkerung in Deutschland – anders als lange erwartet – vorerst nicht schrumpft. Die Ver-schiebung der Altersstruktur können die meist jungen Zuwanderer aber kaum ausgleichen.
Die Alterung der Gesellschaft ist das zentrale Problem. Sie stellt die Sozialkassen vor enorme Herausforderungen und schmälert die Wachstumsperspektiven. Denn auch wenn sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen positiv entwickelt, geht die Gesamtzahl der Erwerbstätigen zurück. Den Schätzungen des IW Köln zufolge verliert der deutsche Arbeitsmarkt in den nächsten zwei Jahrzehnten rund zwei Millionen Arbeitskräfte, was das erwartete Wachstumsniveau halbiert. Um diesen Effekt abzumildern, braucht es Reformen. Insbesondere muss das Arbeitsvolumen – also die insgesamt in Deutschland geleistete Arbeitszeit – erhöht werden. Ein Baustein dafür wäre eine höhere Erwerbsbeteiligung. Allerdings ist der Spielraum angesichts der schon erreichten Fortschritte begrenzt. Potenzial gibt es noch bei der Erwerbsbeteiligung von Müttern, die nach wie vor die Hauptlast der Erziehungsarbeit tragen. Hierfür müssen die Betreuungsangebote weiter verbessert werden.
Doch dies reicht nicht. Die wichtigste Stellschraube im Umgang mit dem demografischen Wandel ist das Renteneintrittsalter. Wenn ein Mann 1970 mit 65 Jahren in den Ruhestand ging, hatte er im Durchschnitt noch knapp 14 Jahre seines Lebens vor sich, bei Frauen waren es gut 16 Jahre. Bei heutigen 65-Jährigen liegt die fernere Lebenserwartung bei knapp 18 Jahren für Männer und 21 Jahren für Frauen – und sie steigt weiter an. Aus diesem Grunde müssen wir einen Teil dieser gewonnenen Lebenszeit zu Arbeitszeit machen. Die Rente mit 67 teilweise wieder zurückzudrehen war deshalb das völlig falsche Signal.
Die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist nicht nur für die Wachstumsperspektiven entschei-dend, sondern auch sozialpolitisch notwendig, wenn der Lebensstandard im Alter gehalten werden und die Beiträge bezahlbar bleiben sollen. Das ist keine Frage der politischen Einstellung, sondern der mathematischen Logik. Genauso notwendig ist eine Diskussion über die Jahresarbeitszeit. Mit durchschnittlich 1.360 Arbeitsstunden jährlich liegt Deutschland mehr als 20 Prozent unter dem OECD-Durchschnitt. Dabei kann es im Sinne der Arbeitnehmer sein, mehr zu arbeiten, wenn die finanziellen Anreize stimmen. Zudem macht es die Digitalisierung möglich, zu Hause oder unterwegs zu arbeiten. Dadurch lassen sich Arbeits- und Familienleben leichter miteinander vereinbaren. Allerdings setzt das Arbeitszeitgesetz dem mobi-len Arbeiten sehr starre Grenzen. Das muss sich ändern. Die gewonnene Flexibilität könnte dann dazu beitragen, dass mehr Beschäftigte bereit sind, ihre Arbeitszeit zu erhöhen.
Neben einem höheren Arbeitsvolumen kann auch der Faktor Kapital dazu beitragen, die de-mografische Wachstumsbremse zu lockern: Infolge der Investitionsschwäche ist der Anteil des Kapitals am Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Um das zu ändern, muss der Staat weiter einen größeren Teil seiner Ausgaben in Investitionen stecken, insbesondere in die teilweise marode (Verkehr) oder mangelhafte (Energie, Breitband) Infrastruktur. Und private Investoren brauchen mehr Anreize, in Deutschland zu investieren. Das erfordert attraktive Standortbedingungen. Ein weiterer Wachstumsmotor könnte die steigende Produktivität sein. Dafür braucht es mehr Fachwissen und technischen Fortschritt. Um in diesem Bereich zuzulegen, bedarf es einerseits eines größeren Engagements in Forschung und Entwicklung und andererseits einer Bildungsoffensive vor allem im naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Denn dort fehlen bereits jetzt die Fachkräfte.
Würden diese Maßnahmen umgesetzt, ließen sich die Wachstumseinbußen durch die Alterung der Gesellschaft deutlich abmildern und das jährliche Wachstum könnte auf dem Durchschnittsniveau von knapp 1,5 Prozent gehalten werden. In den Wahlprogrammen der großen Parteien sucht man ein wirtschaftspolitisches Konzept zur Bewältigung des demografischen Wandels jedoch vergebens. Im Programm der Union spielt das Thema überhaupt keine Rolle. Bei der SPD wird die demografische Entwicklung zwar an mehreren Stellen angesprochen. Aber mit Ausnahme der Überlegungen zu einem neuen Zuwanderungsgesetz sind zukunftsweisende Lösungsansätze nicht in Sicht. Die SPD schließt eine Anhebung des Renteneintrittsalters kategorisch aus, obwohl ihre Schwesterparteien in Skandinavien das Eintrittsalter bereits an die Lebenserwartung gekoppelt haben. Gleichzeitig will sie ein gesetzlich festgeleg-tes Rentenniveau von 48 Prozent und einen Beitragssatz von höchstens 22 Prozent garantie-ren. Finanzieren soll das der Steuerzahler. Angesichts der Tatsache, dass der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt derzeit so hoch ist wie seit knapp 30 Jahren nicht mehr, ist es aber Zeit für eine steuerliche Entlastung, nicht für weitere Belastungen, die zudem einen schrumpfenden Kreis an Steuerzahlern träfen.
Die aktuell noch günstige Lage verstellt den Blick auf notwendige Reformen. Doch je länger man wartet, desto schwieriger und teurer wird es, der Alterung etwas entgegenzusetzen. Dass die Beschäftigung in der kommenden Legislaturperiode noch einmal zulegen dürfte, ist des-halb kein Grund zur Beruhigung. Es müssen jetzt die guten Bedingungen genutzt werden, um die wirtschaftliche Zukunft im demografischen Übergang zu sichern.