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Creditreform

Der deutsche Mittelstand steht vor epochalen Herausforderungen: Digitale Transformation, permanenter Veränderungsdruck von Geschäftsmodellen und -prozessen, hoch komplexe internationale Kunden-, Produzenten-, Lieferantenbeziehungen aufgrund der neuen globalen Abhängigkeiten. Das bringt viele Mitarbeiter an ihre Grenzen, bedarf es dazu doch der Ausbildung ganz neuer Kompetenzen, Neudefinition von Glaubensgrundsätzen und Erfindung neuer Denkweisen. Personalabteilungen müssten darum Hochkonjunktur haben. Doch genau der Gegenteil ist der Fall: Sie verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Dabei könnten sie Schrittmacher in der erfolgreichen Transformation der Unternehmen sein.

War der „Arbeitsdirektor“ früher auch bei börsennotierten Unternehmen noch Vorstandmitglied, so ist der Personalchef heute immer häufiger unterhalb von Vorstand und Geschäftsführung anzutreffen. Welcher Mittelständler beschäftigt schon einen Geschäftsführer exklusiv für Personal- und Mitarbeiterfragen?

Abgesehen von besonders mitbestimmungsintensiven Betrieben, bei denen ständig Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern moderiert werden müssen, hat die Bedeutung der Personalfunktion abgenommen. Das hat sie im Wesentlichen selbst verschuldet. Personaler haben sich auf die Ableitung einer Personalstrategie von der Unternehmensstrategie konzentriert, anstatt das Thema Humankapital zu einem bedeutenden Bestandteil der Unternehmensstrategie zu machen. Sie haben sich operative Aufgaben wie Mitarbeiterbeurteilungsgespräche, Einstellungsinterviews oder die Lohnbuchhaltung ausgesucht, die heute oft von anderen in ähnlicher Qualität durchgeführt werden können. Und viel zu wenige Personaler haben es jemals gelernt, die Sprache ihrer Kollegen in den operativen Bereichen zu sprechen – und damit ihren Mehrwert in der Sprache des anderen darzustellen.

Zusammenfassend: Obwohl exzellente strategische wie operative Personalarbeit gerade in der heutigen Zeit wichtiger als jemals zuvor ist, können Personaler der Vergangenheit an dieser Entwicklung nicht mehr partizipieren. Sie müssen sich neu erfinden, wenn sie wieder zu Impulsgebern ihrer Unternehmen werden wollen.

1. Personal wieder da verorten, wo es hingehört: Auf der obersten Ebene

Der Prozess in vielen Unternehmen sieht so aus: Die Unternehmensführung beschließt eine neue Geschäftsstrategie. Die Personalabteilung bekommt diese zu einem häufig viel zu späten Zeitpunkt auf den Tisch und macht sich dann daran, eine adäquate Personalstrategie auszuarbeiten. Als das große Ganze beschlossen wurde, saß kein Personaler mit am Tisch. Doch wie lässt sich zum Beispiel ein Automobilhersteller in einen Mobilitätsdienstleister verwandeln, wie eine Bauunternehmung in eine Multifunktionsservicefirma oder ein Hardware-Produzent in ein Beratungsunternehmen? Nicht nur über Diagramme, Prozessketten und Charts – sondern über die Menschen, da hinter diesen grafischen Abbildungen stehen. Ihr Kompetenzspektrum, ihre Motivationslage, ihre Veränderungsfähigkeit entscheidet über Erfolg oder Misserfolg jeder unternehmerischen Transformation. Weil das so ist, kann eine Personal- nicht einer Unternehmensstrategie folgen. Sondern sie muss integraler Bestandteil sein, sonst ist die Strategie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt. So profan dies klingt: Personaler müssen dies verstehen, verinnerlichen und verdeutlichen. Nur so können sie wieder mit am Cheftisch Platz nehmen.

2. Sprache der anderen zur eigenen Sprache machen

Das reicht selbstverständlich noch nicht aus. Ähnlich wie Kommunikations- oder IT-Experten sprechen Personaler häufig eine andere Sprache als das Top-Management. Das ist bedingt durch andere Studienabschlüsse – zum Beispiel in Psychologie oder Soziologie – und dann fortgeschrieben in einer anderen Sozialisierung. Personaler betrachten sich schon seit Jahren häufig nicht mehr als operative Einheit, sondern als Teil der „Administration“. Um jedoch auf Top-Ebene als Augenhöhe-Ansprechpartner wahrgenommen zu werden, gilt es diese Sozialisierung zu vergessen. Ein Geschäftsführer Personal ist in erster Linie Geschäftsführer, der für Personal zuständig ist. Und nicht Personaler, der in der Geschäftsführung sitzt. Und dieser Geschäftsführer spricht die Sprache seiner Kollegen: Von den üblichen Abkürzungen bis hin zu den entscheidenden Kennzahlen. Auch eigene Kennzahlen gilt es systematisch einzuführen: Senkung der Besetzungszeiten, Haltefristen von Top-Performern, Minimalisierung von Nachfolgerisiken, Schulungs- und Entwicklungsprogramme Wochen vor dem direkten Wettbewerb – dafür können sich Manager erwärmen.

3. Qualitativen Mehrwert bei operativen Tätigkeiten deutlich herausstellen

„Beurteilungs- oder Einstellungsgespräche kann doch jeder führen.“ Genau wie jeder kochen kann? Selbstverständlich ist beides falsch. Die Erfahrung zeigt: Linienmanager führen Personalgespräche häufig ausschließlich fach- und kompetenzbezogen. Auf die eigentlich wichtigen Variablen wie Motivation oder Lernfähigkeit und –willigkeit gehen sie entweder gar nicht ein oder verfügen nicht über die richtigen Gesprächstechniken, um aus der Verbalisierung von Kandidaten und zu beurteilenden Mitarbeitern die Wahrheit zu erkennen. Personalexperten dagegen müssen genau diese Techniken beherrschen, mit denen sie nicht nur aktuelle Performance, sondern vor allem Potenzial der Kandidaten beurteilen können. Ähnliches gilt für das Thema Rekrutierung. Der Mittelstand stöhnt über den Fachkräftemangel – und bedient sich häufig Rekrutierungsstrategien aus der Steinzeit, wie der klassischen Stellenausschreibung. Personaler müssen hier andere, neue Wege aufzeigen und damit nicht nur die Besetzungsdauer verkürzen, sondern vor allem qualitativ noch bessere Kandidaten ins Rennen zu schicken. Wenn der hier an zwei Beispielen aufgezeigte mögliche Mehrwert in der Linie klar wird, dann werden Personaler nicht mehr nur als „Beisitzer“ in Gesprächen wahrgenommen, die eigentlich von anderer Stelle geführt werden. Das bedeutet an dieser Stelle für Personaler aber nicht nur eine neue Art der Kommunikation und ein professionelles Darstellen dieses Mehrwerts. Das bedeutet auch, dass sie ihre eigene Rolle überdenken, neue Kompetenzen trainieren und anwenden müssen. Wer dazu nicht breit ist, wird auch zukünftig keine Akzeptanz finden und bei der nächsten Sparrunde auf schlechtem Posten sitzen.

4. Über den Tellerrand hinaus schauen: Neudefinition des Themas „Personal“

Wem es gelingt, das Thema Personal wieder in der Geschäftsführung aufzuhängen, maßgeblich die Unternehmensstrategie mitzugestalten, mit dem Management stets auf Augenhöhe zu kommunizieren und den Mehrwert in den operativen Tätigkeiten wieder qualitativ zu steigern ist schon auf einem guten Weg – aber hat gerade in diesem Fall weitaus mehr Potenzial. Denn mit sich verändernden Geschäftsmodellen verändern sich auch die Strukturen und damit Steuerungsmodelle von Unternehmen. Immer häufiger arbeiten Teams nicht nur unterschiedlicher Abteilungen, sondern unterschiedlicher Firmen und Organisationen an gemeinsamen Projekten ganz unmittelbar zusammen: Kunden, Lieferanten, interne Forschung, outgesourcte IT-Spezialisten, Unternehmensberater, das hauseigene Marketing sowie die PR-Agentur müssen aufeinander abstimmt und fortwährend koordiniert werden. Wer das schon einmal mitgemacht hat, weiß, wie hochkomplex die Moderation und Kommunikation bei Großprojekten ist. Viele Projekte scheitern daran, dass es zwar logisch schlüssige Organigramme gab, sich um die menschlichen Faktoren aber niemand gekümmert hat. Diese neue Nische kann künftig die Personalabteilung besetzen. Denn die richtigen Teams zusammen stellen, sie zur Arbeit motivieren, die richtigen Kompetenzen identifizieren und antrainieren – all das sind ihre Kernaufgaben. Und um nichts anders geht es in diesen neuen, agilen Unternehmensstrukturen. Die Personalabteilung kann der Schrittmacher für die Kooperations- und damit Produktionsfähigkeit von Unternehmen werden. Und hat damit die Chance, aus der Verwaltungsecke wieder in eine operative Führungsfunktion zu wechseln.