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Creditreform

Günstig muss es sein, und sofort lieferbar. Die Qualität soll auch noch stimmen. Dann avanciert man schnell zum Wunschkandidaten eines jeden Kunden. Maschinenbauer und andere Unternehmen, die keine Massenware wie Spielzeugautos oder Kaffeetassen herstellen, stehen hier vor einem Problem. Denn kostengünstig produzieren funktioniert doch nur bei hohen Stückzahlen. Oder etwa nicht?

Nicht unbedingt. Denn im Zeitalter von Industrie 4.0 können selbst Einzelanfertigungen – die berühmte Losgröße 1 – bei smarter Produktion in preislich attraktive Sphären rücken. Im Idealfall stellt der Kunde sich am Computer sein ganz persönliches Produkt zusammen, drückt auf den Knopf, und beim Hersteller beginnen die Maschinen wie von Geisterhand zu laufen. Nach kurzer Zeit ist das individuelle Produkt fertig und wird zum Kunden verschickt. Auch das alles läuft fast vollautomatisch. Für 45 Prozent der Unternehmen sind solche Szenarien ein starker Motivator, das Thema Industrie 4.0 und die digitale Transformation auch in ihrem Betrieb umzusetzen. Zwei Drittel haben sich diese neue Form der individuellen Fertigung bereits fest auf die Fahnen geschrieben. Das ergab die dritte Auflage des Deutschen Industrie 4.0 Index, für den die Unternehmensberatung Staufen 277 Industrieunternehmen aus ganz Deutschland befragen ließ.

Das oben genannte Beispiel klingt für den einen oder anderen vielleicht noch sehr nach Zukunftsmusik. Es gibt aber tatsächlich schon Unternehmen, die ein solches Szenario in ihren Werkshallen umgesetzt haben. Ein Paradebeispiel dafür ist der schwäbische Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf. Die Kunden aus der Industrie können hier ganz bequem Stanzwerkzeuge für ihre Maschinen bereits ab der Losgröße 1 konfigurieren und bestellen. Fairerweise muss man dazu sagen, dass Trumpf die berühmte Ausnahme von der Regel ist. Vielen Unternehmen steht noch ein langer und steiniger Weg bevor. Denn die Grundvoraussetzung für eine vollautomatische Fabrik ist, dass alle beteiligten Maschinen selbstständig miteinander kommunizieren müssen: Vom Computer des Werkleiters bis hin zum Fertigungsroboter.

Mechanische Schlachtrösser vs. intelligente Maschinen

Selbstredend, dass eine solche Vernetzung am besten bei ganz neue Maschinen funktioniert, die speziell für diesen Einsatz konzipiert wurden. Schön und gut. Aber welches Unternehmen beginnt schon bei null, mit einer leeren Werkshalle. In der Regel ist der Maschinenpark über die Jahrzehnte gewachsen und bindet einen großen Teil des Vermögens. Die alten Maschinen einfach so gegen neue auszutauschen, ist laut der Staufen-Studie für die wenigsten Unternehmen eine Option. Zumal die alten mechanischen Schlachtrösser meist besonders zuverlässig arbeiten. Unabhängig davon müssen die gesamten Prozesse umgestellt werden, was in der Regel auch nicht von heute auf morgen geht.

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Eröffnet Ihrer Einschätzung nach Industrie 4.0 / Digitalisierung die Möglichkeit, Produktionsstätten zurück nach Europa und Deutschland zu verlagern?

 

Nichtsdestotrotz glaubt die Mehrzahl der Befragten, dass in näherer Zukunft immer mehr intelligente Maschinen das Zepter übernehmen. Während laut Studie der Menschen heute noch zu 59 Prozent an der Wertschöpfung beteiligt ist, soll der Anteil zwischen Mensch und Maschine in fünf Jahren bei jeweils der Hälfte liegen. In zehn Jahren soll der Mensch sogar nur noch zu 40 Prozent zur Wertschöpfung beitragen. Das heißt, dass sich die Relationen im Vergleich zu heute fast umdrehen werden.

Wettbewerb 4.0 geht in die nächste Runde

Wird der Mensch also zum Auslaufmodell in der Produktion? Und mit ihm der Arbeitsstandort Deutschland? Nein, das wird nicht so kommen. Ganz im Gegenteil. Fast vier von fünf Befragten sind sich sicher, dass der Arbeitsstandort Deutschland durch die Digitalisierung stark an Attraktivität gewinnen wird. Aus einem einfachen Grund. Die Produktion in sogenannten Billiglohnländern rechnet sich nämlich nur dann, wenn der Anteil an menschlicher Arbeitskraft in der Wertschöpfungskette hoch ist. Sobald der Anteil der Lohn- an den Gesamtkosten sinkt, wird die Produktion in Deutschland wieder interessanter. Hinzu kommen geringere Transportkosten, da die Produkte nicht mehr aufwendig verschifft werden müssen. Und natürlich verkürzen sich auch die Lieferzeiten innerhalb Deutschlands durch die heimische Produktion immens.

Die vollautomatische Fabrik bedeutet also eine Win-Win-Situation für Produzent und Kunden. Leider gewinnt aber auch die Konkurrenz. Denn die schläft auch in Zukunft nicht. Der wohl größte Unterschied zu heute wird darin liegen, dass der Mitbewerber nicht mehr in erster Linie in Asien sitzt, sondern möglicherweise gleich im Nachbarort, wo er vielleicht schon an neuen Produkten arbeitet. Durch die effizienteren Produktionsmethoden könnte sich die Wettbewerbersituation also eher noch verschärfen. Ebenso dürfte klar sein, dass die menschliche Arbeitskraft nicht zum Mindestlohn zu haben ist. Denn in dieser voll automatisierten Welt wird auch der „einfache Arbeiter“ zum Digitalexperten, der sich sein Wissen gut bezahlen lässt. Auf der anderen Seite schafft die Industrie-4.0-Umgebung mehr Freiraum für den Mitarbeiter, so dass er sein Innovationspotential besser freisetzen kann, vorzugsweise für die Entwicklung von noch besseren und kundenspezifischeren Produkten. Man kann also festhalten: Je höher der Technologieanteil in der Produktion, desto wertvoller wird der menschliche Mitarbeiter.

 

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