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Creditreform

Die ernsthafte Beschäftigung mit Ängsten am Arbeitsplatz findet in deutschen Unternehmen bis heute nicht statt. Stattdessen werden Produktivität und Kreativität, Motivation und Leistung gefordert. Das ist legitim und sinnvoll, über die Gründe für mangelndes Engagement oder gar Resignation wird aber nur oberflächlich diskutiert. Beachten Sie daher meine Tipps zur angstfreien Führung Ihrer Leute – und auch zum Umgang mit Ihren eigenen Ängsten.

Wie das renommierte Marktforschungsinstitut Gallup in seiner Repräsentativumfrage 2013 ermittelte, machen 63 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer Dienst nach Vorschrift oder haben innerlich gekündigt (23%). Engagiert arbeiten – nach eigener Aussage – lediglich 14 % der Befragten. Jeder fünfte freiwillige Arbeitsplatzwechsel erfolgt aus Angst. Diese Ergebnisse ähneln sich Jahr für Jahr, ohne dass Unternehmer und Manager daraus bisher weiter reichende Konsequenzen gezogen hätten.

Abschied vom Tabu

Das erstaunt auf den ersten Blick, denn in der Wirtschaft wird sich über kaum etwas so viel Gedanken gemacht wie über Produktivität und Ergebnisverbesserung. In Krisenzeiten steht regelmäßig das Personal – der mit Abstand größte Kostenfaktor – im Fokus. Oft genug gehen mit der Trennung wertvolle Arbeitskräfte verloren. Zu wenig Aufmerksamkeit hingegen bekommt die Frage, was Mitarbeiter – Führungskräfte eingeschlossen – am Arbeitsplatz oft so flügellahm macht oder gar in die Resignation treibt. Auf den zweiten Blick wird das eigentliche Problem aber deutlich: In Deutschland ist das Thema Angst nach wie vor tabuisiert. Über Ängste im Job wird nicht gesprochen; denn Angst zu haben, gilt als schwach. Menschen verdrängen ihre Ängste als ungewollte und hinderliche negative Gefühlsregungen. Das erschwert den Umgang mit Gefühlen, die am Arbeitsplatz nicht gern gesehen sind.

Sachlich bleiben

Sprüche wie „Lassen Sie uns mal ganz sachlich bleiben“ oder „Nehmen Sie es doch nicht persönlich“ unterstreichen die Unfähigkeit, mit Emotionen des Gesprächspartners umzugehen. Insbesondere in Einzel-Coachings wird immer wieder deutlich, dass Führungskräfte ihre Gefühle zu unterdrücken versuchen, weil Angst stigmatisiert ist und als Schwäche empfunden wird. Dabei lässt sie sich nicht wegdiskutieren. Sie existiert in der Form von Angst vor Leistungsschwäche, Gesichtsverlust, eigenen und fremden Erwartungen nicht zu entsprechen, den Lebensstandard nicht halten zu können, Job und Familie nicht unter einen Hut zu bringen, isoliert zu sein oder krank zu werden, kurz: die Angst zu versagen. Anhaltende Ängste sind abgesehen von Mimik und Gestik vor allem über körperliche Symptome – also psychosomatisch – erfahrbar. Freilich muss der Zusammenhang mit dem Thema Angst erst einmal erkannt und akzeptiert werden. Leider sind auch viele Ärzte dabei nicht hilfreich.

Raus aus der Angstfalle

Die offensichtliche Aufgabe für verantwortungsbewusste Führungskräfte besteht darin, für ihre Mitarbeiter eine (möglichst) angstfreie Atmosphäre zu schaffen. Dafür finden sich auch in der einschlägigen Management-Literatur kaum ernst zu nehmende gedankliche Ansätze. In der Praxis gilt es, nacheinander zwei Schritte zu vollziehen. Am Anfang steht die Aufgabe, sich der eigenen Ängste bewusst zu werden, angstvolle Gedanken überhaupt erst einmal zuzulassen. Das fällt leichter, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Angst – anders als im täglichen Miteinander praktisch gelebt – nichts Negatives bedeutet. Im Gegenteil – Angst ist ein überaus wichtiges Warnsignal, das wahr- und ernst genommen werden will. Angst weist auf eine Gefahr hin, der es durch überlegtes Handeln zu begegnen gilt. Wer allerdings in der Angst stecken bleibt, läuft das Risiko der Lähmung. Daher lautet die wichtigste Regel: mental präsent sein – die Angst bewusst anschauen und unverzüglich ins Handeln, ins Gestalten im Sinne einer Lösung kommen (Gegenwart), statt in ängstlicher Erinnerung an eine ähnliche Situation (Vergangenheit) oder in anhaltender Vorwegnahme des Unglücks (Zukunft) stecken zu bleiben. Sobald Menschen im Coaching bewusst erleben, wie befreiend und angstreduzierend aktives Handeln wirkt, steigt die Bereitschaft deutlich, sich im Angstkontext auf dieses Thema einzulassen.

Vertrauen statt Druck und Gewalt

Wie Führungskräfte für ihre Mitarbeiter angstfreie Räume schaffen können, lässt sich unmittelbar aus deren Bedürfnissen ablesen. Mitarbeiter wünschen sich Wertschätzung, Respekt und Anerkennung ihrer Leistung, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit ihres Vorgesetzten, offene Kommunikation ohne Druck und unterschwellige Gewalt, guten Informationsfluss und angemessene Einbeziehung in Entscheidungen, Gestaltungsraum und kompetenzgeprägte Eigenverantwortlichkeit. Nur so kann Vertrauen entstehen. In vertrauensvoller Atmosphäre hat Angst keinen Platz, Mut zum Gestalten und Lust auf Verantwortung stärken die Kreativität und Produktivität des Einzelnen. Gleichzeitig aber gilt: Führungskräfte sprechen die Mitarbeiter nicht aktiv auf deren vermeintliche Ängste an. Zu groß ist in der Regel die Angst vor der Angst. Nur wer gern und ohne Angst zur Arbeit kommt, kann seinen Beitrag engagiert und konstruktiv leisten.

Bausteine für den Umgang mit der eigenen Angst

1. Sich die eigenen Ängste bewusst machen und akzeptieren (nicht verdrängen)

2. Der Angst einen konkreten Namen geben und sie als Warnsignal schätzen lernen

3. Über die eigene Angst mit anderen Menschen sprechen

4. Sich den Zusammenhang zwischen Angst und negativem Stress (körperliche Symptome) deutlich machen

5. Gehen Sie mit Ihren Emotionen und Ängsten bewusst um. Bringen Sie Ihre Gefühle und Sorgen angemessen zum Ausdruck und ermutigen Ihre Mitarbeiter entsprechend. Suchen Sie sich ggf. professionelle Coaching-Unterstützung

6. Mentale Präsenz (in der Gegenwart sein) regelmäßig üben

7. Körpergefühl und Entspannung durch regelmäßige Bauchatmung und andere Techniken fördern

8. Im Gespräch den Augen-Blick (Blickkontakt) halten und konzentriert zu-hören (in der Gegenwart bleiben)