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Ein breites und variantenreiches Produkt-Portfolio verspricht viele Umsatzpotenzial,der Ertrag bleibt dabei aber zuweilen auf der Strecke. Ein Produkt-Portfolio darf nicht nur an den Erfordernissen des Vertriebs ausgerichtet sein, sondern muss auch operativ und wirtschaftlich beherrscht werden können.

In meinem letzten Beitrag wies ich darauf hin, dass es immer wieder dieselben drei leistungswirtschaftlichen Defizite in der Wertschöpfungskette sind, die Unternehmen in die Knie zwingen. Diese drei Schwachstellen sind die Gestaltung des Produkt-Portfolios, die Planung und Steuerung der Wertschöpfungsprozesse, sowie die Architektur der Wertschöpfungskette selbst.

Heute möchte ich mit Ihnen einen ersten Blick auf die Probleme werfen, die sich aus der Struktur unserer Produkt-Portfolios ergeben können. Als Unternehmer sieht man im Produkt-Portfolio zuerst einmal das wesentlichste Instrument für den Markterfolg. Sind unsere Produkte am Markt nicht gefragt, dann haben wir ein massives Problem.  Wenn unsere Produkte nicht gefragt sind, dann kann dies zwei Ursachen haben: die Preise sind zu hoch oder die Produkte treffen nicht die Wünsche und Bedarfe der Kunden. Damit wir im Notfall die Preise senken können, versuchen wir die Herstell- oder Gestehungskosten unserer Produkte möglichst gering zu halten. Damit wir die Wünsche und Bedarfe unserer Kunden möglichst gut treffen und uns im Wettbewerb abheben können, bemühen wir uns, unsere Produkte immer weiter auszudifferenzieren. Der Vertrieb freut sich, denn er kann jede noch so exotische Nachfrage bedienen, doch in vielen Fällen quietscht die Wertschöpfungskette und das Lager stöhnt.

Schauen wir uns deshalb das Produkt-Portfolio einmal unter logistischen Gesichtspunkten an und betrachten zuerst einmal Handelsunternehmen und Unternehmen, die Ihre Produkte ab Lager verkaufen:
Die nachfolgende Abbildung zeigt ein typisches Produkt-Portfolio, wie man es bei vielen Unternehmen auf der Fertigwarenseite findet. Die einzelnen Artikel wurden einerseits nach Ihrer Umsatzbedeutung (ABC) und andererseits danach bewertet, wie regelmäßig der Markt die Artikel nachfragt. Klassifiziert man Artikel nach ihrer Bedarfsregelmäßigkeit, dann spricht man von einer XYZ-Analyse. Ordnet man alle Artikel eines Produkt-Portfolios ihrer ABC-Klasse und ihrer XYZ-Klasse zu, so baut sich ein sogenanntes ABC-XYZ-Portfolio auf.

ABC-XYZ-Portfolio

Die Bedarfsregelmäßigkeit (XYZ) eines Artikels ist entscheidend für die operativen Kosten, die der Artikel in der Wertschöpfungskette verursacht. Je mehr die Nachfrage nach einem Artikel schwankt, desto höher sind die sogenannten Sicherheitsbestände, die quasi als Versicherungsprämie für die Lieferfähigkeit eines Artikels vorgehalten werden müssen. Diese Sicherheitsbestände müssen finanziert, disponiert, evtl. gefertigt und bewirtschaftet werden.

Stellen Sie sich vor, Sie verkaufen einen Artikel in der ersten Woche dreimal, dann zwei Wochen gar nicht, danach fünfmal und in der dann folgenden Woche einmal und danach gleich fünfzehnmal. Im Schnitt haben Sie 24 Stück in 6 Wochen verkauft. Das macht wöchentlich durchschnittlich 4 Stück. Mit diesen 4 Stück auf Lager wären Sie aber nicht wirklich glücklich. Denn in zwei der sechs Wochen hätten Sie nicht die Nachfrage decken können. Hätten Sie sich jede Woche auf einen Bedarf von vier Stück eingestellt, wäre Ihnen evtl. ein Umsatz von 12 Stück in diesen sechs Wochen entgangen. Im Schnitt würde ein Bestand von 4 Stück der wöchentlich aufgefüllt werden kann zwar reichen, da Kunden aber oft nicht warten oder durch das Warten verärgert werden, werden Sie sich vermutlich für einen höheren Bestand entscheiden, den Sie auf Lager halten. Alles das, was Sie über den durchschnittlichen Verbrauch während der Wiederbeschaffungszeit hinaus lagern, wird als Sicherheitsbestand bezeichnet. Um in unserem Beispiel die gesamte Nachfrage bedienen zu können, müssten Sie einen Sicherheitsbestand von 11 Stück vorhalten, der in den sechs Wochen aber nur ein einziges Mal benötigt würde.

Artikel mit hohen Bedarfsspitzen im Verhältnis zum Durchschnittsbedarf bezeichnet mal als Z- und in ganz schlimmen Fällen als Z2-Artikel. Je höher die Bedarfsspitzen eines Artikels im Verhältnis zu seinem Durchschnittsverbrauch sind, desto höher fällt der erforderliche Sicherheitsbestand aus.  Das gilt sowohl für A-Artikel, die einen hohen Beitrag zum Umsatz leisten, wie für C-Artikel, deren Umsatzbeitrag sehr bescheiden ist. Bei den wichtigen A- und B-Artikeln werden Sie voraussichtlich einen hohen Sicherheitsbestand vorhalten, bei den C-Artikeln sollten Sie es sich aber nochmals überlegen.

Schauen wir uns das oben dargestellt typische Produkt-Portfolio eines Lagerfertigers oder Handelsunternehmens nochmals genauer an:
Wir sehen, dass mit 20-30% der Artikelnummern ca. 60-80% des Umsatzes erwirtschaftet werden. Am anderen Ende des Portfolios im CZ- und CZ2-Bereich werden mit 40-70% der Artikel nur 2-4% des Umsatzes erwirtschaftet. Wie wir gerade gesehen haben, sind hierfür hohe Bestände im Verhältnis zum Umsatz vorzuhalten. Die Lieferfähigkeit für diese letzten 2-4% des Umsatzes erkaufen Sie sich sehr teuer.

Das mag sein, mögen Sie einwerfen, aber ohne diese Exoten mache ich mich am Markt nicht interessant genug und darüber hinaus sind meine Produktmargen hoch genug angesetzt. Das mag teilweise stimmen, wenn Sie die Produkte zu den hohen Margen kurzfristig wegbekommen und nicht später verramschen oder vernichten müssen. Im business-to-business-Bereich haben wir in zahlreichen Analysen immer wieder feststellen müssen, dass die meisten Unternehmen mit ihren CZ und CZ2-Artikeln kaum Geld verdienen. Stichprobenhafte Prozesskostenanalysen zeigen regelmäßig, dass diese Artikel, selbst dann, wenn die Deckungsbeiträge noch positiv erscheinen, bei genauer Kostenzuordnung Geld verbrennen.

CZ / CZ2-Artikel

  • benötigen hohe Bestände und damit hohe Kapitalbindung im Verhältnis zum Umsatz,
  • erfordern einen Abwicklungs- und Verwaltungsaufwand der tw. höher ist als für die restlichen 96-98% des Umsatzes  und
  • bergen ein hohes Verschrottungsrisiko.

Wir wollten zuerst einmal nur Lagerfertiger und Handelsunternehmen betrachten. Sieht es bei Auftragsfertigern, die kundenspezifische Produkte herstellen anders aus?
Im Grunde nicht. Kaum ein Auftragsfertiger kann es sich aus Gründen der Lieferzeit und der Kosten leisten, seine Produkte jedes Mal neu zu erfinden. Auftragsfertiger arbeiten zumeist nach dem Lego-Prinzip: Die Häuschen, die sie erstellen, sind zwar jeweils kundenspezifisch zusammengesetzt. Die verwendeten Bausteine sind jedoch zum großen Teil Standardkomponenten, die immer wieder anders zusammengesetzt werden. Für diese Standardkomponenten gelten dieselben Portfolio-Prinzipien, wie zuvor besprochen.

Deshalb mein Rat:

Tappen Sie nicht in die CZ-Falle und sorgen Sie dafür, dass der „Long tail“ Ihres Produktportfolios nicht zu lange wird!