Herr Siebers, Sie raten zur strikten Trennung von stationärem und Online-Handel. Warum?
Ich rate ab von halben Sachen, ja – denn sie zerstören Reputation, verbrennen Geld und frustrieren am Ende die Mitarbeiter. Strukturen aus dem klassischen Geschäft können und sollten nicht so einfach auf das E-Business übertragen werden, denn dieses funktioniert anders als der stationäre Handel. Ohne einen schlagkräftigen E‑Commerce-Bereich, der unabhängig vom übrigen Tagesgeschäft eines Handelsunternehmens einen Online-Shop – mit eigenen Preisen und allen erdenklichen Artikelgruppen – aufbauen kann, ist ein Multi-Channel- Projekt zum Scheitern verurteilt.
Online-Käufer ticken einfach anders?
Ich meine das firmenintern: Im Internet-Handel kommt es auf das überlegte Zusammenspiel an, da er nur in den seltensten Fällen ein Selbstläufer ist. Kompetenzen in den verschiedensten Bereichen wie Marketing,Programmierung, Online-Recht oder Projektmanagement sind erforderlich, um langfristig Erfolg zu haben. Wir hätten z.B. unseren neuen Online-Shop GartenXXL nie so schnell und so erfolgreich starten können, wenn wir auf die Notwendigkeiten eines stationären Garten- oder Baumarktes hätten Rücksicht nehmen müssen.
Dass die richtigen Leute her müssen, ist klar. Und die passende Software?
Deren Auswahl hängt ab von den angestrebten Zielen des Unternehmens und den Rahmenbedingungen des Projekts. Wie umfangreichsoll der Shop werden? Mit welchem Sortiment? Was genau soll er leisten können? Wie viel Individualität ist nötig und wird gewünscht? Die Palette der möglichen Software reicht von Open-Source-Produkten, Software-as-a-Service-Modellen bis zu High-End-Shops im eigenen Rechenzentrum…
Ein komplexes Puzzle mit vielen Elementen also, das schnell unterschätzt wird?
Nun ja: Eine erfolgversprechende ECommerce-Architektur besteht aus mehreren technischen Systemen, die nahtlos ineinandergreifen müssen: Angefangen vom Frontend und der Shop-Software über das Warenwirtschaftssystem und die Bezahllösungen bis hin zur Logistik und dem Kundenservice. Oft übersehen, aber auch ein Teil des Erfolges, sind eine effiziente Lagerhaltung und eine reibungslos funktionierende Buchhaltung. Allein hieran scheitern schon viele Online-Shops.
Kunden wollen schließlich Auswahlmöglichkeiten…
Auswahlmöglichkeiten und damit das Sortiment sind entscheidend! Findet er ein gewünschtes Produkt – etwa von seiner bevorzugten Marke – nicht im Shop, ist der Kunde mit einem Mausklick schnell bei einem Wettbewerber. Je größer die Produktpalette wird, destowichtiger ist aber auch die Suchfunktion im Shop. Rund ein Drittel der Besucher, so unsere internen Analysen, steuert eine bestimmte Warengruppe nicht über die Navigation an, sondern suchen danach.
Und was ist mit Auswahlmöglichkeiten beim Bezahlen?
Vielfalt soll dem Kunden in jeglicher Hinsicht geboten werden. Dazu zählt auch ein breites Angebot an Zahlungsmöglichkeiten, natürlich! Je mehr, desto besser. Denn 30 bis 40 Prozent des möglichen Umsatzes im Online-Handel werden verschenkt, wenn in einem Shop nicht die richtigen Zahlungssysteme angeboten werden. Mit einer großen Auswahl lässt sich die Abbruchquote im Check-Out, die in vielen Online-Shops ein Problem darstellt, deutlich verringern.
Kaufen gerade Online-Shopper nicht ohnehin nur beim günstigsten Anbieter?
Einerseits ja: Der günstigere Preis ist für einen nicht geringen Teil der Kunden ein wesentlicher Grund für den Online-Einkauf. Andererseits hängt vom richtigen Pricing die Marge für den Händler ab. Laut einer Studie des „Competence Center Online Services & Media” derUnternehmensberatung Simon, Kucher & Partners könnten die meisten Internet- Händler durch eine Optimierung ihrer Preise die Erlöse um bis zu 20 Prozent steigern …
Welche Rolle spielen Preis- und Produktsuchmaschinen?
Während Suchmaschinen wie Google von den Verbrauchern zu 79 Prozent beim Finden eines geeigneten Online-Shops für den Kauf eines bestimmten Produktes genutzt werden, spielen bei 41 Prozent der Internet-User – so eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts Ibi Research an der Universität Regensburg – mittlerweile auch spezialisierte Preis- und Produktsuchmaschinen eine wichtige Rolle beim Einkaufen im Web. Sie generieren besonders konversionsstarke Zugriffe, deshalb ist die Optimierung dieses Kanals ein wichtiger Teil des Performance-Marketings.
Und Kundenbewertungen beeinflussen die neuen Käufer?
In der Tat: Kundenrezensionen und -bewertungen sind ein wichtiger Faktor für die Kaufentscheidung und sollten deshalb sehr ernst genommen werden. 71 Prozent der Onlinekäufer – so Studien – lesen Beurteilungen, 77 Prozent lassen sich von diesen bei derKaufentscheidung beeinflussen. Mit dem Net Promoter Score (NPS) gibt es eine objektive Kennzahl, mit der sich mittelbar die Kundenzufriedenheit und unmittelbar die Bereitschaft der Kunden zur Weiterempfehlung quantifizieren lässt. Sie kann deshalb als KeyPerformance Indicator (KPI) – ebenso wie Umsatz, Gewinn oder Wachstum – gemessen, kontrolliert und als Zielgröße für strategische Entscheidungen genutzt werden.
Apropos Google: Wie sollte der neue Shop beworben werden?
Ein erfolgreicher Online-Shop muss alle Marketingkanäle nutzen, um den Verbraucher auch tatsächlich mit seinem Angebot zu erreichen. Neben der durchaus sinnvollen klassischen Werbung in Printmedien, TV und Rundfunk garantieren im Online-Geschäft vor allem Maßnahmen im Performance Marketing den Erfolg: Etwa Suchmaschinenwerbung (SEA), Suchmaschinenoptimierung (SEO), Newsletter,Affiliate-Programme, Preis- und Produktsuchmaschinen, Display-Werbung und Social Media Marketing. Diese Kanäle gilt es geschickt zu nutzen!
Ein Redakteur denkt immer an guten Content. Ist der auch im E-Commerce King?
Absolut: Wer nur die vom Hersteller mitgelieferten Produktbeschreibungen ins Netz stellt, unterscheidet sich nicht von der großen Masse von dupliziertem Content. Durch die Investition in eine redaktionelle Betreuung des eigenen Shoppingportals ist man dem Gros der Konkurrenz bereits einen entscheidenden Schritt voraus. Die Herausforderung für das Redaktionsteam besteht darin, generische Markennamen und Produktkategorien mit jeweils individuell recherchierten Attributen zu kombinieren und zu erweitern, um so die Sichtbarkeit des Angebots in organischen Suchergebnissen zu erhöhen. Bei GartenXXL setzen wir neben einem täglich aktualisierten Magazin mit Tipps und Vorschlägen für die Gartengestaltung auch Bewegtbild-Content in Form von Produktvideos ein und erklären komplexe Themen einfach und schnell nach dem Do-ityourself-Prinzip.
Klingt so, als rieten Sie Händlern heutzutage dazu, Online-Pureplayer zu werden?
Zumindest haben Online-Pureplayer erhebliche Vorteile, was die Entwicklungsdynamik angeht, denn im Internet muss man ständig am Ball bleiben. Ein Onlineshop, dessen Wachstum sich verlangsamt, fällt gegenüber neuen Konkurrenten schnell zurück! Online-Pureplayer können Veränderungen mit hoher Geschwindigkeit durchführen und werden nicht wie die Multichannel-Anbieter durch die Prozesse undEntscheidungswege im stationären Bereich abgelenkt. Zudem müssen sie keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der anderen Kanäle nehmen.