Der digitale Wandel kenne keine Grenzen, versprechen die Macher der Cebit. Was ist noch Science-Fiction, was ist schon marktreif? Das Creditreform-Magazin macht – wenige Tage vor Eröffnung der Cebit 2017 – den Realitäts-Check. Text: Michael Schlösser
Bald passt kein Superlativ mehr drauf: „d!conomy“ heißt wie in den Vorjahren das Thema der Cebit – in diesem Jahr mit dem Zusatz „no limits“. Neue Technologien schüfen neue Geschäftsmodelle, sagt Oliver Frese, Vorstand der Deutschen Messe AG: „Diese grenzenlosen Möglichkeiten der Digitalisierung werden wir so erlebbar und anfassbar machen wie noch nie.“ Viel stärker als je zuvor werde man Showcases präsentieren, kündigt Frese im Interview (siehe Seite 48) an. Er verspricht konkrete Beispiele für die Digitalisierung der Branchen Automotive, Banken und Versicherungen, Handel, Gesundheit sowie Verwaltung.
Das Messegelände in Hannover wird dabei auch dieses Jahr wieder zur Kontaktbörse für Global Player, Start-ups und Mittelständler. Letztgenannten bescheinigen viele Experten weiterhin großen Nachholbedarf in Sachen digitaler Transformation: Rund 80 Prozent der kleinen und mittleren Betriebe haben bereits erste Schritte zur Digitalisierung getan, aber nur jeder vierte Mittelständler verfolgt Studien zufolge konsequent eine Digitalstrategie. „Die notwendigen Veränderungen im Unternehmen umzusetzen, das fällt vielen Firmenchefs noch immer schwer“, bedauert Markus Humpert, Bereichsleiter Digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom. Im Rechnungswesen oder Vertragsmanagement sind digitale Lösungen schon heute nahezu unverzichtbar – „aber das wird längst nicht ausreichen“, sagt Humpert. „Digitale Plattformen wie Uber oder AirBnB haben den Taxi- beziehungsweise Hotelmarkt grundlegend verändert.“ Was ist die Hausaufgabe für den Mittelständler? Die eigene Situation analysieren und entscheiden, an welchen Stellen er im eigenen Unternehmen konzentriert und mutig vorangehen möchte – die Cebit bietet dafür viele Impulse:
Virtual Reality
Kommt 2017 der Durchbruch oder bleibt es ein kurzfristiger Trend der Gaming-Industrie? Virtual Reality (VR) wird seit Jahren zum „Next Big Thing“ hochgejazzt. Zugegeben: Die Einsatzmöglichkeiten sind grenzenlos. Doch momentan sind VR-Brillen noch mehr Show denn echte Verkaufsförderer. Auf der Cebit 2017 wird ein Touristikanbieter einen virtuellen Rundgang über ein Kreuzfahrtschiff anbieten. Dazu passt die Meldung vom Reiseveranstalter Thomas Cook, der mehrere Hundert Reisebüros mit VR-Brillen ausstatten will. Überall, wo es darum geht, Produkte zu gestalten, wie die Küche bei Ikea oder das Traumauto bei Audi, könnte Virtual Reality zukünftig der Standard sein. „VR-Technologien revolutionieren gesamte Wirtschaftszweige“, sagt Timo Seggelmann, Geschäftsführer von Salt and Pepper Software. Das Unternehmen will gemeinsam mit dem Fachverband für Virtual Reality (EDFVR) auf der Cebit in Halle 17 Business-Anwendungen vorstellen. Auf der Messe können Besucher unter anderem die „Hololens“-Brille von Microsoft aufsetzen, die nach den USA und Kanada jetzt auf den europäischen Markt kommen soll. Sie hat bereits die Fans des Spiele-Klassikers Minecraft in Aufregung versetzt, die mit der Brille 3D-Welten bauen können.
Autonomes Fahren
In der Schweiz sind die „Smartshuttles“ ohne Fahrer schon seit Sommer 2016 im Testbetrieb. Auf der Cebit werden sie die Besucher vom Eingang West 1 quer durch die Halle 13 zur Halle 12 transportieren. Die Busse der Schweizerischen Post bieten Platz für jeweils elf Personen und erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu 20 Stundenkilometern. „Dieses autonome Fahren kann für viele Unternehmen eine wichtige Rolle spielen“, sagt Cebit-Chef Oliver Frese. Man denke nur an Betriebe mit einem großen Werksgelände, wo Waren oder Produktionsgüter immer wieder über den gleichen Weg von A nach B transportiert werden müssen. Selbstfahrende Wagen werden die Automobilindustrie grundlegend verändern, prophezeien die McKinsey-Analysten in ihrer Studie „Autonomous Driving“. In kontrollierbaren Umgebungen können sie schon heute eingesetzt werden. Mittelständische Zulieferbetriebe dürfen sich technologisch hier nicht abhängen lassen. Sie müssen vor allem die Schnittstelle zwischen Auto und Software beherrschen.
Cebit 2017: Was, wann, wo?
Die Messe öffnet vom 20. bis 24. März jeweils von 9 bis 18 Uhr. Tageskarten kosten 61 Euro, im Vorverkauf 56 Euro. Wie immer gibt es zahlreiche Angebote mit Themenschwerpunkten, die dann auch den Eintritt zu Fachkonferenzen und Workshops beinhalten.
Drohnen
Take-off in Halle 17: „Wer in der Logistik tätig ist, sollte sich auf jeden Fall rund um die Chancen von Drohnen auf dem Laufenden halten“, sagt Markus Humpert vom Bitkom. Alle großen Paketzusteller testen zurzeit in Pilotprojekten, ob und wo die Zustellung mit unbemannten Fluggeräten Sinn macht. Da die Drohnen nur wenige Kilogramm schwere Fracht tragen können, werden die Einsatzmöglichkeiten überschaubar bleiben. Spannender wird es beim Thema Überwachung. „Wir werden auf der Messe Drohnen erleben, die Daten sammeln, intelligent nutzen und so die Wartung von Industrieanlagen vereinfachen“, kündigt Cebit-Chef Oliver Frese an. Drohnen können beispielsweise bei der Überprüfung von Windkraftanlagen helfen – sei es vom Menschen oder automatisch gesteuert. In der Landwirtschaft liefern sie Echtzeitbilder vom Zustand der Pflanzen und Böden. Auf Feldern verscheuchen sie Rehe, bevor der Mähdrescher kommt, oder aufdringliche Vögel, die das Saatgut auswühlen. Der Buvus, der Bundesverband für Unbemannte Systeme, will auf der Messe weitere Best-Practice-Beispiele aus den Bereichen Bau und Immobilien, Polizei und Feuerwehr sowie Transport und Logistik präsentieren.
Cyber Security
Das Thema Cyberkriminalität ist so ernst zu nehmen wie noch nie. Mit der Telekom traf es im November einen der größten deutschen Player. Auch wenn es sich erschreckend anhört, müssen sich Unternehmen bewusst sein: Es ist nicht die Frage, ob sie von Hackern angegriffen werden, sondern wann. Hinter den Angriffen stehen automatisierte Bots, die sich kreuz und quer im Internet Ziele suchen – und leider viel zu oft Erfolg haben. Auf der diesjährigen Cebit werden alle großen Spieler der Sicherheitsbranche wie Kaspersky, Sophos, Symantec und Trend Micro vor Ort sein. Sie stellen Lösungen vor, wie sich Datennetze ebenso wie Produktionsanlagen bewachen lassen. Denn durch das Internet der Dinge erhöht sich die Zahl der potenziellen Angriffspunkte dramatisch. Bei den Cebit Global Conferences wird das Thema Cyber-Sicherheit ganz oben auf der Agenda stehen. Die Riege der Sprecher ist hochkarätig: unter anderem der Präsident des Bundeskriminalamts Holger Münch und die norwegische Forscherin Marie Moe, die ihren eigenen Herzschrittmacher hackte.
Digitale Ressourcenplanung
Enterprise Resource Planning, Business Intelligence und Human Resources: Das ist alles nicht so sexy wie die Träume von Drohnen, virtueller Realität und künstlicher Intelligenz. Die Ressourcenplanung ist aber die Basis eines jeden Geschäftsmodells. Wie sie komplett digital ausschauen kann, präsentiert die E-Go Mobile in Halle 5. Das Spin-off der RWTH Aachen fertigt günstige Elektrofahrzeuge und macht die komplette Wertschöpfungskette für Entwicklung und Produktion auf der Messe transparent und greifbar. Perfekt ist eine ERP-Software, wenn der Unternehmer den kompletten Prozess und alle Kennzahlen in Echtzeit auf seinem Startbildschirm hat. Solche Lösungen sind keine Vision, sondern schon heute auf dem Markt.
5G und das Internet der Dinge
Der Datenverkehr über mobile Geräte hat in den vergangenen Jahren um das 1.000-Fache zugenommen, heißt es in einer Studie des Verbands der Internetwirtschaft (Eco). Die Mobilfunkanbieter arbeiten daher am neuen Standard 5G, der im Jahr 2020 die LTE-Netze ersetzen soll (mehr auf creditreform-magazin.de/5G). Auf der Cebit gibt es dieses Jahr wahrscheinlich einen Vorgeschmack: Die Telekom will eine kleine 5G-Wolke über der Messe schweben lassen und Messebesuchern ein Gefühl für die neue Übertragungsgeschwindigkeit geben. Die Daten sollen mit zehn bis 20 GBit/s unterwegs sein. Das wird auch nötig sein, wenn – wie es Analysten prophezeien – in wenigen Jahren rund 50 Milliarden Geräte online sein werden. Nicht nur Toaster und Kaffeemaschinen, sondern auch Produktionsmaschinen im Business-Umfeld, die in Echtzeit Daten an einen zentralen Rechner funken. Ohne Breitband geht da gar nichts mehr.
»Tragende Säule der Digitalisierung«
Oliver Frese aus dem Vorstand der Deutschen Messe AG skizziert das Angebot der Cebit 2017 für den Mittelstand.
Digitale Transformation ist nach wie vor ein abstrakter Begriff. Wie wollen Sie auf der Cebit den digitalen Wandel veranschaulichen?
Indem wir noch viel stärker auf konkrete Anwendungsbeispiele für ganz unterschiedliche Branchen setzen. Wir machen die künstliche Intelligenz anfassbar, die in Form humanoider Roboter ganze Geschäftsabläufe vereinfachen wird. Das Internet der Dinge werden die Besucher in den unterschiedlichsten Einsatzszenarien im Bereich Smart Home bestaunen können. Und in unserem neuen VR-Bereich wird man in die Virtuelle Realität abtauchen können.In der Regel treiben die großen Konzerne diese Technologie voran. Kann der Mittelstand im Windschatten davon profitieren?
Dem Mittelstand kommt für mich eine ganz tragende Rolle in der Digitalisierung zu. Sicher werden von den großen Konzernen häufig auch große Anwendungen bereitgestellt – aber die Implementierung der Anwendungen in den Unternehmen, das realisieren sehr oft kleine und mittelständische Unternehmen, von denen auch viele auf der Cebit präsent sein werden. So werden sich beispielsweise in diesem Jahr weit mehr als 40 Microsoft-Partner präsentieren – und das sind ja viele Mittelständler, die auch exakt die Sprache des Mittelstandes in der Umsetzung sprechen.Japan ist in diesem Jahr das Cebit-Partnerland. Können wir beim digitalen Wandel von Fernost lernen?
Japan und Deutschland haben viele Parallelen in den Wirtschaftssystemen und sie stehen vor ganz ähnlichen Herausforderungen. In Japan sehen wir eine große Offenheit für Technologie und eine große Bereitschaft, Technologie wie beispielsweise künstliche Intelligenz oder humanoide Roboter in die Wirtschaft und auch in den Alltag einzubauen. Viele Diskussionen werden in Japan sehr chancenorientiert geführt.