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Mit Wasserstofftechnologien dem Klimawandel Einhalt gebieten? Viele Experten setzen große Hoffnungen auf Wasserstoff als Energiespeicher und -träger. Doch bislang sind es noch Pilotprojekte, an denen Mittelständler tüfteln. Wann gelingt der Durchbruch?

 

Wenn Heinrich Gärtner über den derzeitigen Stand der Wasserstofftechnologie spricht, vergleicht er ihn mit dem der Photovoltaik im Jahr 2002.

Anfang des 21. Jahrhunderts entfachte die Idee, Strom aus Sonnenenergie zu gewinnen, einen regelrechten Hype. Der Staat förderte entsprechende Projekte, der Funke sprang auf Bürger und Unternehmer über.

Mittlerweile hat sich der Wirbel um Solarstrom in Deutschland längst gelegt. Stattdessen avanciert Wasserstoff zum neuen Ökoenergie-Star. Oder endet der Hype so schnell, wie er entstanden ist?

Heinrich Gärtner schüttelt energisch den Kopf. Der Mann ist Vollblutunternehmer in der Branche der erneuerbaren Energien.

Der gebürtige Bayer hat vor zehn Jahren mit seinem Studienfreund Ove Petersen GP Joule gegründet. Der Mittelständler arbeitet mit rund 250 Mitarbeitern vornehmlich an Projekten in den Segmenten Solar, Wind und Biomasse.

Gärtner argumentiert also von Haus aus für etablierte erneuerbare Energien – aber er kann auch gute Argumente für den baldigen Durchbruch der Wasserstofftechnologie liefern.

In GP Joules Tochterfirma H-Tec Systems dreht sich alles um Wasserstoff, genauer gesagt um Elektrolyseure.

Die Geräte können Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind oder Sonne in grünen Wasserstoff umwandeln.

In einem zweiten Schritt ließe sich dieser zu synthetischem Erdgas, Benzin, Diesel oder Kerosin verarbeiten – und ist damit vielseitig einsetzbar. Das Konzept heißt „Power to X“,  „Strom zu was auch immer“, und treibt das Thema in diverse Industrien.

 

Wasserstoff ist leicht erzeugt, schwierig zu speichern

An Wasserstoff knüpfen viele Experten große Hoffnungen, um die Welt weniger abhängig von fossilen Brennstoffen mit CO2-Emissionen zu machen.

Fast täglich finden irgendwo in der Republik Kongresse statt. Wie stark Wasserstoff in der deutschen Industrie bereits verankert ist, wird auch die kommende Hannover Messe, die Leistungsschau der deutschen Industrie, zeigen.

Waren in den vergangenen Jahren rund 150 Aussteller mit der Wasserstofftechnologie vor Ort, werden es im März 2020 rund 180 sein.

Die Nummer eins im Periodensystem der Elemente könnte zur Nummer eins der Brennstoffe avancieren? Bezogen auf das Gewicht, enthält Wasserstoff fast dreimal mehr Energie als Benzin.

Per Elektrolyse lassen sich Wind- und Solarstrom fast unbegrenzt lange speichern, ohne dass Energie verloren geht.

Aber das Wundergas hat auch einen entscheidenden Makel: Wasserstoff lässt sich nicht einfach in offenen Tanks oder Fässern lagern wie Öl.

Was passiert, wenn er mit Sauerstoff in Kontakt kommt, kennen die meisten noch aus dem Chemieunterricht: Es entsteht ein explosives Gemisch, Knallgas.

Um Wasserstoff also sicher zu speichern und transportieren zu können, muss er unter hohem Druck gekühlt und verflüssigt werden. Das ist sehr aufwendig und verbraucht wiederum eine Menge Strom.

Öko-Unternehmer Gärtner ist sich dessen durchaus bewusst. „Die Erzeugung erneuerbarer Energie ist einfach, die Verteilung, Speicherung und Nutzung ist die Herausforderung, vor der wir heute stehen“, sagt der 47-jährige Diplom-Argaringenieur.

 

Energie aus dem Container

Mit H-Tec Systems konzentriert sich Gärtner seit 2010 auf die Entwicklung der sogenannten Membran-Elektrolyseure, seit 2017 sind die Geräte auf dem Markt.

In diesem Jahr wurden die ersten ausgeliefert. Wie auch andere Firmen arbeitet H-Tec Systems heute vor allem noch für Pilotprojekte.

Geliefert werden jedoch schon Standardprodukte, Elektrolyseure in 20- oder 40-Fuß-Containern, die dann je nach Ausstattung bis zu 1,5 Millionen Euro kosten. Technische Projektierer wie MAN, aber auch Energieversorger wie Greenpeace Energy sind die Auftraggeber.

Mittlerweile denken Gärtner und sein Co-Chef Petersen in viel größeren Dimensionen: Sie arbeiten an einem Wasserstoffverbundnetz in Nordfriesland.

Dort sollen im Jahr 2020 fünf Elektrolysesysteme à 200 kW an geeigneten Windparks installiert werden.

Der überschüssige Strom aus den Anlagen wird per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt, anschließend vor Ort in Drucktanks gespeichert und regelmäßig durch ein Druck-Tankfahrzeug an den fünf Standorten aufgenommen und zu zwei Wasserstofftankstellen transportiert.

Diese versorgen brennstoffzellenbetriebene Busse, die im ÖPNV täglich eingesetzt werden. Die Nutzung im ÖPNV ermöglicht eine hohe tägliche Laufleistung und damit konstante Nachfrage nach Wasserstoff.

Strom aus erneuerbaren Energien kann auf diese Weise über längere Zeit gespeichert werden und im Mobilitätssektor emissionsfreie Brennstoffzellen-Fahrzeuge mit der benötigten Energie versorgen.

E-Farm heißt das Projekt von GP Joule, das mit acht Millionen Euro vom Bundesverkehrsministerium gefördert wird. „Das Projekt macht Wasserstoff erlebbar und soll auch die Akzeptanz von erneuerbaren Energien in der Bevölkerung erhöhen“, so Gärtner.

Wer bezuschusst und fördert was?

Die finanzielle Förderung von Wasserstofftechnologien durch den Staat bestätigt derzeit das bekannte Bild: Ähnlich wie bei anderen Themen sind auch hier die Fördertöpfe nicht auf einen Blick im Internet auszumachen.

Wer fördert?
Neben den Bundesländern mischen das Bundesforschungsministerium, das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesverkehrsministerium mit. Das Forschungsministerium vergibt Fördermittel im Bereich früher Forschungsvorhaben. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert Projekte, die schon Marktreife erlangt haben, aber deren Produkte noch zu teuer sind. Das Bundesverkehrsministerium bezuschusst Vorhaben, die schnell umsetzbar sind.

 

Was wird gefördert?
Die Abkürzung NIP steht für „Nationales Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie Phase II“, kurz NIP steht. Das Programm ist so etwas wie das Flaggschiff der deutschen Förderträger. Auf der Internetseite www.foerderdatenbank.de erfährt man, dass insbesondere Projekte im Straßen-, Schienen-, Wasser- und Luftverkehr gefördert werden.

 

Wie hoch ist die Förderung?
Die Höhe des Zuschusses für Unternehmen beträgt bis zu 50 Prozent der förderfähigen Kosten. Für Hochschulen sind es bis zu 100 Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben. Kleine und mittlere Unternehmen gemäß der KMU-Definition der EU können unter bestimmten Voraussetzungen einen Bonus erhalten.

 

Wie funktioniert das Antragsprocedere?
Für alle Projekte gilt: Die Förderverfahren sind zweistufig. In der ersten Verfahrensstufe sind zunächst Projektskizzen in elektronischer Form einzureichen. Zur Erstellung der Projektskizzen sowie förmlicher Förderanträge ist das elektronische Antragssystem easy-Online zu nutzen.

Heizen mit Sommersonne

Mit Wasserstoff kommt der gemeine Bürger in Deutschland bislang wenig in Berührung. Forschung und Entwicklung zum Einsatz in Gebäudeheizungen etwa sind noch rudimentär.

Eine Ausnahme sind Schweizer Wissenschaftler, die Speicher auch mit Brennstoffzellen-Heizungen koppeln wollen, wie sie etwa Viessmann oder die Bosch-Tochter Buderus anbieten.

Bislang gewinnen solche Anlagen den nötigen Wasserstoff aus Erdgas – wenig klimafreundlich. Das ändert sich, wenn den Wasserstoff ein Elektrolyseur liefert, der mit Strom aus einer Photovoltaikanlage auf dem Hausdach betrieben wird.

Hausbesitzer könnten mit der Sommersonne Wasserstoff auf Vorrat produzieren und ihn dann so lange im Speicher lagern, bis die Tage kälter werden.

Auch im Straßenverkehr fristet der Wasserstoff noch ein kümmerliches Dasein. Gerade einmal 76 öffentlich zugängliche Wasserstofftankstellen gibt es zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen.

Anfang 2019 registrierte das Kraftfahrt-Bundesamt nur 392 Fahrzeuge, die mit Wasserstoff betrieben werden.

Bei 57,3 Millionen Kraftfahrzeugen liegt der Anteil von Autos mit Brennstoffzelle damit bei 0,0007 Prozent. Anhänger von batteriebetriebenen Autos verweisen in dem Zusammenhang gerne auf den Wirkungsgrad.

Betrachtet man die gesamte Kette von der Wasserstofferzeugung bis zur Wandlung in elektrische Energie, kommt Wasserstoff auf einen Wirkungsgrad von 38 Prozent. Batterien kommen bei schneller Ladung auf 68 Prozent, bei schonenderer Fahrt auf noch mehr.

 

Effizienz durch Kombination

Für Gärtner ist Wasserstoff kein Konkurrent zum Batterieantrieb, sondern eine Ergänzung. Er weist darauf hin, dass die allermeisten Autos in Deutschland im Schnitt weniger als eine Stunde pro Tag in Betrieb sind.

„Aber alle, die deutlich länger als eine Stunde pro Tag auf den Straßen unterwegs sind, fahren günstiger mit Wasserstoff“, sagt Gärtner. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE unterstützt in der Tendenz diese Ansicht.

Das ISE kam in einer Studie zum Ergebnis: Ab etwa 250 bis 350 Kilometern Reichweite beziehungsweise einer Batterie von mehr als 50 Kilowattstunden liegen Wasserstoff-Pkw vorn.

In China arbeiten bereits mehrere Firmen an Wasserstoff-Lkws, auch Hyundai und Toyota setzen verstärkt auf entsprechende Nutzfahrzeuge.

Selbst der Daimler-Konzern, der mit dem Dieselantrieb untrennbar verbunden schien, öffnet sich für das Thema. Allerdings plant Daimler, erst in zehn Jahren den ersten wasserstoffgetriebenen Serien-Lkw auf die Straße zu bringen.

 

Von Diesel auf Brennstoffzelle

Schneller sind da Startups wie Keyou. Vor rund vier Jahren gegründet, arbeitet das Unternehmen aus der Nähe von München seitdem an der Weiterentwicklung des klassischen Verbrennungsmotors zum emissionsfreien Wasserstoffmotor.

Gründer und CEO Thomas Korn zeigte mit seinen 35 Mitarbeitern anhand eines Deutz-Motors, dass sein Konzept aufgeht.

Keyou ist herstellerunabhängig, arbeitet seit März 2019 an einem zweiten Motor eines zweiten Herstellers, mit einem weiteren Autokonzern steht man in finalen Vertragsverhandlungen.

Ziel des Startups Keyou ist es, Verbrennungsmotoren – vor allem in Nutzfahrzeugen – zu emissionsfreien Wasserstoffmotoren umzurüsten. Foto: © Keyou

Unternehmer Korn setzt auf die CO2-Flottengrenzwerte der EU-Kommission für das Jahr 2025, denen zufolge die Hersteller 15 Prozent weniger CO2-Ausstoß erreichen müssen.

Keyou richtet sich nicht zufällig auf Nutzfahrzeughersteller. „Bei den Lkw kann man etwas die Abhängigkeit von der Tankstelle auflösen, das Segment der Pkw-Hersteller ist sicherlich anspruchsvoller.“

Auch andere Firmen setzen nicht auf die Neuentwicklung, sondern rüsten bestehende Motoren auf Wasserstoff um, wie etwa Clean Logistics – in diesem Falle wird hier von Diesel auf Brennstoffzelle umgerüstet.

Breit vertreten ist auch die mittelständische Schmidt-Kranz-Gruppe in der Wasserstoffwirtschaft. Manager Matthias Authenrieth arbeitet mit seinem Team für Kunden der Stahlindustrie, wie etwa ThyssenKrupp und Salzgitter.

In einem Projekt, für das am Ende allerdings der Siemens-Konzern den Zuschlag bekommen hat, sollen sieben Windkraftanlagen auf dem Gelände des Salzgitter-Konzerns aufgestellt werden, um Wasserstoff mittels Elektrolyse zu erzeugen.

 

Elektrolyse im Industriemaßstab

Dass sogar die großen Erdölkonzerne umdenken, zeigt das Beispiel Shell. Der Konzern baut derzeit im Rheinland für 20 Millionen Euro die größte Elektrolyseanlage der Welt. Die Hälfte der Gesamtinvestitionen stammt aus EU-Fördertöpfen.

In der neuen Anlage wird Wasserstoff aus Strom statt wie bisher aus Erdgas gewonnen. Zunächst, so ein Sprecher, komme dieser noch aus dem normalen Strommix.

Zukünftig sei aber denkbar, auf 100 Prozent erneuerbaren Strom umzusteigen und damit wirklich grünen Wasserstoff herzustellen.

„Im ersten Schritt soll der gewonnene Wasserstoff für die Entschwefelung konventioneller Kraftstoffe, die in der Raffinerie hergestellt werden, eingesetzt werden“, sagt ein Shell-Sprecher.

Derzeit benötige die Rheinland-Raffinerie rund 180.000 Tonnen jährlich. Die neue Anlage kann 1.300 Tonnen Wasserstoff im Jahr produzieren.

Bei Erfolg könne das Projekt aber erweitert werden. „Wir können dann auch Wasserstoff an Kunden außerhalb der Raffinerie liefern.“

Bisher werden sechs Prozent des Erdgases weltweit für die Wasserstoffproduktion genutzt. Entstünde dieser aus Ökostrom, wäre das ein wichtiger Schritt in Richtung einer klimafreundlichen Chemieindustrie.

Zumal die Branche an neuen Anwendungen tüftelt. Technisch ließen sich mit Wasserstoff etwa auch Vorprodukte für Plastik erzeugen – und daraus wiederum grüne Joghurtbecher, Klebstoffe oder Kunstharze.

 

Klimapaket: Unternehmer beklagt mangelnde Planungssicherheit

Für Heinrich Gärtner ist die Idee einer deutschen Wasserstoffstrategie ein richtiger Schritt. Der entscheidende Hebel allerdings, damit die Wasserstofftechnologie wirkliche Relevanz in Deutschland erfahre, sei ein vernünftiger CO2-Preis.

Das Klimapaket der Großen Koalition hatte beschlossen, dass der Preis pro Tonne CO2 ab 2021 bei zehn Euro liegt, bis 2025 soll der Preis auf 35 Euro steigen.

Für Gärtner müsste der Preis ab 2020 mit 30 bis 40 Euro starten und in einem jetzt schon festgelegten Korridor über die Jahre steigen, damit dieser eine Lenkungswirkung erziele.

„Wir haben derzeit überhaupt keine Planungssicherheit, wie sich der Markt entwickelt“, sagt Gärtner. „Bei einem kontinuierlich steigenden Preis für CO2 ist die Lenkungswirkung da und die Firmen können sich ausrechnen, wann und in welchem Maße sie umstellen müssten.“

Die Rechnung sei dann einfach: Bei einem politisch ausgelösten Zwang, auf CO2-Alternativen umzusteigen, würden mit höheren Stückkosten auch die Herstellungskosten der entsprechenden Produkte für die Firmen sinken.

„Seit 2002 bis heute gab es eine Kostenreduzierung bei Photovoltaikanlagen um 95 Prozent“, weiß Gärtner.