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Creditreform

In vielen Branchen bereiten Firmen zum Beispiel gebrauchte Maschinen und Anlagen wieder auf. Die neuen Alten entsprechen dann dem aktuellen Stand der Technik. Das spart jede Menge Rohstoffe und Energie – und den Kunden Kosten. Ein Milliarden-Euro-Geschäft, wie die folgenden Beispiele belegen. Text: Wilfried Katterbach

Selbst erfahrene Diplom-Ingenieure wie Franz Streibl schafften es bislang nicht, defekte LED-Lampen zu reparieren. Das wurmte den Stuttgarter so sehr, dass er das Projekt Relumity startete. Dahinter versteckt sich eine nachhaltige LED-Lampe. Streibl: „Sie ist von vornherein so konstruiert, dass sie sich auseinandernehmen lässt, die defekten Bauteile ersetzt werden können und sie ihre Aufgabe wieder wie eine neue wahrnehmen kann.“ Auf diese Art und Weise erzielt die Relumity-Lampe eine Lebensdauer von bis zu 50.000 Stunden – doppelt so lange wie eine handelsübliche und nicht reparierbare LED-Leuchte. Die Idee kam so gut an, dass Streibl und seine beiden Mitstreiter, der Wirtschaftswissenschaftler Alexander Bernhard und der Mathematiker Florian Schmidt, 2016 die gleichnamige Firma gründeten, um die langlebige Lichtquelle zu produzieren und zu vertreiben.

Reparieren statt wegwerfen: Die LED-Lampe des Stuttgarter Start- ups Relumity kann auch von Laien in ihre Einzelteile zerlegt werden. © Relumity

Reparieren statt wegwerfen: Die LED-Lampe des Stuttgarter Start-
ups Relumity kann auch von Laien in ihre Einzelteile zerlegt werden. © Relumity

Ressourcen und Kosten sparen Remanufacturing, Refabrication, Remaking oder Refurbishing heißt diese umweltfreundliche Methode, mit der sich gebrauchte Geräte und Maschinen wieder wie neu aufrüsten lassen, um erneut einsatzfähig zu sein. Diese Kreislaufwirtschaft spart insbesondere Material und Energie – und den Verbrauchern viel Geld für neue, meist teurere Waren. So hat die Fraunhofer-Projektgruppe Prozessinnovation an der Uni Bayreuth, die sich federführend in Deutschland mit dem Thema „Aus gebraucht wird neu“ wissenschaftlich beschäftigt, einmal nachgerechnet: Eine runderneuerte Lichtmaschine für Pkws kommt auf zwölf Prozent jener Materialmenge, die für eine neue anfallen würde. Ähnlich sieht es beim Energieverbrauch aus: Für die Wiederaufbereitung genügen 14 Prozent dessen, was für die Produktion einer neuen Maschine aufzuwenden wäre. Am Ende stehen deutliche Vorteile für den Nutzer: Er zahlt nur rund die Hälfte des Preises, der für ein Neuprodukt fällig wäre.

»Wir können unsere Druckerpatronen bis zu drei Mal zu neuem Leben erwecken. «
Jörg-Stefan Schmitt, Brother

Kein Wunder also, dass dieser Geschäftszweig boomt: Insgesamt erwirtschaften die europäischen Firmen, die sich mit der Wiederaufbereitung gebrauchter Produkte befassen, nach Angaben des European Remanufacturing Network (ERN) mit rund 190.000 Mitarbeitern einen Umsatz von knapp 30 Milliarden Euro. Davon verbuchen deutsche Unternehmen dieser oft im Stillen tätigen Branche sogar den Löwenanteil, nämlich rund ein Drittel. Das größte Angebot von wiederaufbereiteten Produkten ist vor allem in den folgenden Wirtschaftssegmenten zu sehen:

Automobil: Inzwischen überarbeiten sämtliche Hersteller und Zulieferer Motoren, Bremsen, Kupplungen, Getriebe, elektrische und elektronische Komponenten von Personen- und Nutzfahrzeugen (www.apra-europe.org).

Luftfahrt: Das Überholen und der Einsatz von aufgearbeiteten Altteilen sind seit jeher in dieser Branche üblich. Turbinen, Flugzeugflügel, Wetterradaranlagen oder Hydraulikventile finden immer wieder erneut Eingang in die auf lange Lebensdauer ausgerichteten Flugzeuge.

Industrie: Generalüberholte Elektromotoren, Pumpen, Kompressoren oder Generatoren sind auch in diesem Segment eine kostengünstige Alternative zu Neuprodukten (https://www.remanufacturing.eu/themes/business-models/).

IT: Vor allem Produkte mit kurzer Lebensdauer wie Handys, Drucker oder Notebooks werden auf neu getrimmt. Das Gleiche gilt für Langlebigeres wie Server.

Gesundheitswesen: Neu aufbereitete Computer-Tomografen, aber auch Betten bieten enorme Einsparpotenziale.

Diese Kreislaufwirtschaft ist – im Unterschied zum Recycling, bei dem das ausrangierte Produkt zerlegt, geschreddert oder zerstört wird und die einzelnen Materialien wie das Blei einer Autobatterie eingeschmolzen und dem neuen Einsatzzweck zugeführt werden – auf den Erhalt wesentlicher Bauelemente ausgerichtet. Das bedeutet aber auch, dass der Produzent neuer Maschinen und Geräte diese so konstruieren sollte, dass sie sich für lebensverlängernde Maßnahmen eignen. Dazu gehört, dass sich das Gerät oder die Maschine leicht in Einzelteile zerlegen lässt. Diese werden dann gründlich gesäubert und alle Bauteile genau unter die Lupe genommen. Die noch funktionstüchtigen Teile werden aufbereitet und die defekten durch neue ersetzt.

Anschließend wird das Produkt wieder zusammengesetzt und einem Funktionstest unterzogen. Dabei gilt immer die Vorgabe: Das aufbereitete Altprodukt muss genauso gut funktionieren wie ein neues – nur dann kann der Hersteller auch die gleiche Garantie wie bei einem neuen Produkt gewähren. Eine solche bietet zum Beispiel auch Amazon: Seit November 2016 offeriert der Online-Händler ein großes Sortiment gebrauchter Produkte.

Rund 1.500 Angebote aus den Bereichen Smartphone, Gaming, Notebooks, Baumarkt, Küche sowie Haushalt haben die jeweiligen Hersteller repariert und neuwertig aufgearbeitet. Amazon gibt darauf selbstverständlich Garantie – ein volles Jahr ab dem Kauf, unabhängig davon, wie alt die Geräte letztlich schon sind. Auch der Druckerhersteller Brother geht diesen Weg. Der japanische Produzent bereitet nach eigenen Angaben von insgesamt 2,6 Millionen verkauften Druckerpatronen rund 450.000 (Zahl von 2015) gebrauchte Exemplare in einer eigenen Fabrik in der Slowakei wieder auf. Das ist immerhin ein Anteil von mehr als 17 Prozent. Dort werden die Kartuschen erfasst, genau untersucht, zerlegt, gereinigt, defekte Bauteile werden ersetzt und anschließend wird die runderneuerte Patrone einem Funktionstest unterzogen.

Spezielle Logistik für Rückläufer

„Bis zu drei Mal können wir unsere gebrauchten Druckerpatronen zu neuem Leben erwecken“, berichtet Jörg-Stefan Schmitt von Brother. Für sein Wiederaufbereitungsprojekt hat das hessische Unternehmen eine eigene Logistik aufgebaut. So können Kunden entweder ihre leeren Kartuschen bei ihrem Händler abgeben oder gleich an Brother zurückschicken. Das Unternehmen sammelt sie und sendet sie dann an sein Remanufacturing-Werk in die Slowakei. Mit diesem Geschäftszweig kann enormes Einsparpotenzial gehoben werden. So schätzt Fernand J. Weiland, Berater und Buchautor zum Thema Remanufacturing, dass „eine erneuerte Druckerpatrone bis zu 40 Prozent an Kostenersparnis bringt“.

Runter mit den Kosten: Fast jede fünfte Druckerpatrone von Brother wird in der Slowakei aufbereitet. © Brother

Runter mit den Kosten: Fast jede fünfte Druckerpatrone
von Brother wird in der Slowakei aufbereitet. © Brother

Milliardengeschäft Aufbereitung

Diese Fakten von Amazon, Brother & Co. belegen, wie groß und gut organisiert inzwischen der Markt für wiederaufbereitete Waren ist. So richten sich zum Beispiel die IT-Hersteller nach den Vorschriften des British Standards BS 8887, der genau festlegt, nach welchen Kriterien gebrauchte IT-Produkte wieder in den Markt gebracht werden dürfen. Auch hier lohnt das Geschäft: „Insgesamt erwirtschaftet die IT-Industrie im Bereich Remanufacturing inklusive Druckerpatronen einen Umsatz von 6,5 Milliarden Euro“, so Isabel Richter vom IT-Branchenverband Bitkom. Naturgemäß viel größer ist der Markt für wiederaufbereitete Teile im Automobilsektor: Rund 30 Millionen neu aufgerüstete Teile werden in den Fahrzeugen verbaut. Das bedeutet einen Umsatz von zwölf Milliarden Euro. Schon jetzt werden mehr als die Hälfte der auszutauschenden Komponenten in Fahrzeugen durch neue Gebrauchtprodukte ersetzt. An erster Stelle liegen Anlasser und Lichtmaschinen. Schätzungen gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren die runderneuerten Altteile bis zu 80 Prozent ausmachen werden.

Das überzeugendste Argument für ihren Einsatz ist auch hier die Kostenfrage. So ist nach Einschätzung der Automotive Parts Remanufacturers Association (APRA) ein runderneuertes Ersatzteil bis zu 50 Prozent billiger – bei gleicher Qualität wie bei einem Neuteil.

Ein großer Player in diesem Geschäft ist beispielsweise auch der Zulieferer ZF aus Friedrichshafen am Bodensee. Das Unternehmen liefert gebrauchte und aufgearbeitete Achssysteme für Nutzfahrzeuge, Getriebe für Pkws und für Nutzfahrzeuge sowie rund zwei Millionen Kupplungsdruckplatten und -scheiben. Alles in Erstausrüsterqualität. Dies bedeutet: Aufgearbeitete Komponenten von ZF entsprechen dem neuesten Stand der Technik. Sollte dies jedoch einmal nicht der Fall sein, können Kunden ein technisches Upgrade bei der Aufarbeitung verlangen – natürlich inklusive Gewährleistung. ZF verspricht zudem: Gemäß den strengen Vorgaben aus der Serienfertigung durchlaufen die Aggregate bei der Aufarbeitung die gleichen anspruchsvollen Prozesse, Messungen und Prüfungen wie ein neues Produkt.

© Icons made by Freepik from www.flaticon.com

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Genauen Vorschriften folgen

Noch einen Schritt weiter geht man in der Luftfahrtindustrie. Doch werden an Lieferanten von aufgearbeiteten Bauteilen wesentlich höhere Anforderungen gestellt. Um überhaupt in den Markt zu gelangen, müssen sich die sogenannten MROs (Maintenance, Repair and Overhaul, zu Deutsch: Instandhaltung, Reparatur und Überholung) nach den strengen Anforderungen der amerikanischen Federal Aviation Administration oder der European Aviation Safety Agency (EASA) zertifizieren lassen. Und: Im Unterschied zu allen anderen Branchen, die aufbereitete Teile wieder einsetzen, müssen wichtige Komponenten nach einer gewissen Zeit, zum Beispiel nach zehn Jahren oder 200.000 Landungen, ersetzt werden – egal wie stark abgenutzt sie sind. Düsentriebwerke werden zudem permanent überwacht, um eventuelle Schäden von vornherein auszuschließen. Unterm Strich also ein Riesengeschäft für die MROs: So bereitet zum Beispiel Lufthansa Technik, einer der größten der Branche, jährlich rund 30.0000 Bauteile wieder auf und erzielt damit einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro. Doch nach oben ist noch viel Luft, die Wiederaufbereitungsbranche steht schließlich erst am Anfang. Das European Remanufacturing Network setzt darauf, dass die Politik die Kreislaufwirtschaft tatkräftig unterstützt. Dann könnte die Branche bis 2030 auf ein Umsatzvolumen von 90 Milliarden Euro und 600.000 Mitarbeiter wachsen. Das Stuttgarter Start-up Relumity ist dabei zwar ein kleiner, aber wichtiger Baustein für eine umweltfreundlichere Zukunft.