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Creditreform

Mit einer eigenen Betriebskrankenkasse können Unternehmen gezielt die Gesundheit der Beschäftigten fördern. Das Creditreform-Magazin erläutert, welche Aspekte bei der Einführung und der täglichen Praxis zu beachten sind.

Spüren Mitarbeiter der Wieland-Werke AG, dass sie seelisch aus dem Gleichgewicht geraten sind, müssen sie nicht lange auf einen Termin beim Psychologen warten. Unkompliziert können sie sich im Betrieb bei einer psychosomatischen Sprechstunde anmelden. 50 Minuten nimmt sich ein Arzt Zeit, um mit ihnen die Ursachen der Beschwerden zu ergründen und bei Bedarf weitere Behandlungsschritte einzuleiten. Diese Sprechstunde ist eines der vielen Projekte der Betriebskrankenkasse (BKK) Wieland, mit denen Krankenkasse und Unternehmen gemeinsam dazu beitragen, dass die Mitarbeiter gesund bleiben. „Etwa 200 Ratsuchende haben in den letzten drei Jahren allein dieses spezielle Angebot genutzt“, sagt Jörg Schneider, Vorstand der BKK Wieland.

Die Wieland-Werke beschäftigen an ihren deutschen Standorten rund 4.300 Mitarbeiter. Die Ulmer sind der weltweit führende Hersteller von Halbfabrikaten und Sondererzeugnissen aus Kupfer und Kupferlegierungen. 90 Prozent der gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten sind Mitglieder der firmeneigenen BKK, deren Angebote ausschließlich Wieland-Arbeitnehmer und deren Angehörige nutzen können. Das nennt man im Fachjargon eine „geschlossene“ BKK – im Unterschied zur offenen Kasse, der jeder beitreten kann. In der Bundesrepublik gibt es aktuell 99 BKKs, fast ein Drittel davon geschlossene. Immerhin: 16,1 Prozent aller Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen waren 2013 im BKK-System versichert.

Viele Fusionen, kaum Gründungen

Allerdings: Vor 20 Jahren gab es noch mehr als 1.000 dieser Einrichtungen. Viele von ihnen haben miteinander fusioniert. Die BKK Essanelle etwa, 2002 als offene BKK gegründet, ist zum 1. Januar 2015 mit der Deutschen BKK verschmolzen. Der Hintergrund: Für eine offene Kasse ist eine möglichst große Zahl der Mitglieder ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, weil sie mit Marktmacht verbunden ist. Neugründungen hat es in der Branche aber schon lange nicht mehr gegeben – auch hier ist die BKK Essanelle als jüngstes Beispiel zu nennen.

Doch jetzt ändert sich die Lage, ist sich Franz Knieps vom Vorstand des BKK-Dachverbands sicher. „Es wird wieder zu Neugründungen kommen“, prognostiziert er. Aufgrund der demografischen Entwicklung und des höheren Renteneintrittsalters blieben die Beschäftigten länger im Unternehmen. Gesundheitsförderung und Prävention würden immer wichtiger für die Betriebe. Auch Norbert Schleert, Geschäftsführer des Vereins Betriebliche Krankenversicherung, beobachtet bei einer Reihe von Firmen Vorbereitungen zur Gründung eigener Kassen. Sein Tipp: Unternehmen sollten besser eine geschlossene BKK gründen. In einer offenen BKK, in der möglicherweise Hunderttausende versichert sind, ist eine zielgenaue Gesundheitsförderung kaum möglich.

© Creditreform-Magazin 02/2015

© Creditreform-Magazin 02/2015

Hinter diesem Aspekt verbirgt sich einer der größten Pluspunkte einer firmeneigenen Krankenkasse: maßgeschneiderte Lösungen, die eng auf die Wünsche und Bedürfnisse der Arbeitnehmer abgestimmt sind. Hier einige Beispiele: Die BKK PwC bietet Krebsfrüherkennungsprogramme an, die BKK Groz-Beckert ein Venenscreening. Viele Unternehmen offerieren wie die BKK MTU Kurse zum Thema Stressmanagement oder führen Bewegungstrainings durch. Spezifisch sind dabei nicht eventuelle Krankheiten, die für die Belegschaften typisch sind, sondern die unterschiedlichen organisatorischen Voraussetzungen in den Betrieben.

So viel Rücksichtnahme auf die Belange der Belegschaft zeigt Wirkung: „Gesundheitsförderung ist bei uns ein wichtiges Mittel der Mitarbeiterbindung“, sagt beispielsweise BKK-Wieland-Chef Schneider. Die Kasse arbeitet eng mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement des Metallverarbeiters selbst zusammen, das wiederum für die Umsetzung des ganzen Bündels an Maßnahmen von der Rückenschule über Ernährungsberatung bis zur Physiotherapie zuständig ist. „Zum Teil bieten Unternehmen ärztliche Versorgung in ihren Räumen an“, berichtet denn auch Schleert. Solche Maßnahmen stärken nicht nur die Bindung der Arbeitnehmer und ihre Motivation. Auch für externe Fachkräfte wird das Unternehmen als Arbeitgeber zunehmend attraktiver.

Doch eine BKK erhöht nicht nur die Identifikation mit dem Unternehmen. Darüber hinaus profitiert auch die Firma. Beispielsweise von einer vereinfachten Lohnbuchhaltung durch einen möglichst hohen Anteil an BKK-Versicherten, vom portofreien Hauspostservice und nicht zuletzt am geringeren Krankenstand.

Unbezahlbare Vorteile

Beziffern lassen sich solche Effekte aber nicht“, sagt BKK-Wieland-Vorstand Schneider, schließlich stehe die Gesundheitsförderung im Vordergrund. Finanzielle Aspekte sind heute ohnehin nicht mehr die Triebfeder. Das war früher, als die Kassen noch selbst ihren eigenen Beitragssatz festlegten, anders.

Firmenchefs sollten jedoch bedenken: Eine eigene BKK zu gründen, ist aufwendig. Schon im Vorfeld ist der organisatorische Aufwand enorm. Zwei Beispiele: die Mitbestimmungsrechte und die IT-Auflagen. So darf die Betriebsversammlung über die Einrichtung der BKK nicht etwa durch einfaches Handheben abstimmen, sondern muss eine Urnenwahl durchführen. Ein Vertreter der zuständigen Aufsichtsbehörde – das Bundesversicherungsamt oder eines der Landesversicherungsämter – leitet die Sitzung. Außerdem muss die Verwaltung der Personaldaten strikt von der eigentlichen Betriebs-IT getrennt werden: So dürfen Informationen über den Gesundheitszustand der Mitarbeiter nicht für die Firma zugänglich sein oder gar auf demselben Computer verwaltet werden.

Und dann wäre da noch ein letzter wichtiger Aspekt: Die Unternehmen tragen bei der Gründung einer eigenen BKK das Haftungsrisiko. Theoretisch kann die Krankenkasse in die Insolvenz gehen, etwa wenn extrem hohe Behandlungskosten für die Mitglieder anfallen, die nicht angemessen vom Risikostrukturausgleich der Kassen kompensiert werden. „Ein solcher Fall ist mir allerdings nicht bekannt“, sagt Experte Schleert.

© Creditreform-Magazin 02/2015

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