
© Sven Döring / Agentur Focus
Die Erfolgsgeschichte der Deutschen Werkstätten in Dresden verlief auf Umwegen. Die Zukunft des Betriebs hing lange am seidenen Faden. Heute vereint er auf höchstem Niveau technische Innovation, Kunsthandwerk und Diskretion. Die teuersten Yachten der Welt erhalten dort ihre edle Innenausstattung.
Fritz Straub öffnet die Tür zur Werkstatt. Er könnte jetzt auch viel erzählen über Handwerkskunst und Millionenaufträge. Doch viel lieber zeigt er, was seine Leute so draufhaben. Gleich nach wenigen Metern stoppt er abrupt.
„Was ist das denn da Schönes?“, ruft der Chef – und greift nach dem Holzmodell einer gewundenen Treppe. Der Leiter der Lehrlingswerkstatt erklärt, was die 18 Auszubildenden vollbracht haben und mit welchen Mitteln.
„Ist ja Irrsinn“, sagt Straub begeistert und zieht weiter. Dort hinten entsteht gerade das Schlafzimmer einer Luxusyacht – mit Oberflächen und abenteuerlichen Bullaugen, die die Welt so bisher nicht gesehen hat. Geht es um individuellen Innenausbau, sind die Deutschen Werkstätten Hellerau (DWH) die erste Adresse weltweit.
Wer den 75-jährigen Straub in seinem Betrieb in Dresden-Hellerau begleitet, der spürt, was den Mann antreibt: Begeisterung und Neugierde. Immer wieder erkundigt sich der Weißhaarige spontan: Was läuft hier? Worüber sprecht ihr gerade? Staunend lernen, mitreden und mit Lob sanft antreiben – den Dreiklang scheint Straub wunderbar zu beherrschen.
Es gibt irrsinnig viel zu entdecken, selbst für den geschäftsführenden Gesellschafter. Hier in der fußballfeldgroßen Werkhalle wird regelmäßig an der Grenze von der Materialwissenschaft zur Kunst gearbeitet. Kein Auftrag ist wie der andere. „Was wir tun, ist reine Manufaktur und Millimeterarbeit“, erklärt Straub.
Meeting im Mock-up
Auf Stellwänden sind großformatig Grundrisse und präzise Zeitschemata angepinnt. Die Deutschen Werkstätten sind spezialisiert auf Yachten von oft über 100 Meter Länge – die schwimmenden Prestigeobjekte der Superreichen. Oligarchen, Unternehmer, Prominenz. „Wer der Eigner wird, interessiert uns nicht“, sagt Straub. „In der Regel trifft man den späteren Besitzer nicht.“
Manchmal aber kommen sie zum sogenannten Mock-up nach Dresden. Dann wird das 1:1-Muster etwa eines Ankleidezimmers in der Werkhalle aufgebaut. Man schaut, befühlt und probiert. Es ist die letzte Chance zur Korrektur, bevor der gestaltete Raum in See sticht.
Der Prozess braucht Zeit: neun Monate Abgleich mit dem Designer, mindestens sechs Monate Fertigung. Zum Schluss werden die haargenau vorgefertigten Paneele und Möbelstücke in weiteren sechs Monaten auf dem Schiff eingebaut. „Im Yachtbau gibt es keine Mängel. Es herrscht ein unmenschlicher Grad an Perfektion“, sagt Straub.
An der Inneneinrichtung von fünf Yachten arbeitet man parallel – unter großer Verschwiegenheit. „Jeder will etwas Besonderes und fordert Exklusivität.“ Es gehe nicht nur um die Länge der Yacht, sondern auch um extravaganten Stil im Inneren.
„Der Schiffsdesigner entwirft nur Bilder, wir müssen sie handwerklich-technisch umsetzen“, sagt Straub. Besondere Wünsche wecken den Erfindergeist der 300 Mitarbeiter in Hellerau. „Wir fahren mit jedem Auftrag hohes Risiko.
Nur 75 Prozent sind für uns kalkulierbar. Am Ende ist es ein Spiel“, gesteht Straub. Trial und Error auf höchstem Niveau. So entsteht die Whiskybar, die sich wie ein Lippenstift nach oben dreht. Oder ein Kabinettschrank mit japanischem Lack, der allein 100.000 Euro wert ist.
Hoch oben über den Schreibtischen der Ingenieure hängt auf einer Empore eine Schiffsglocke. Straub läutet, wenn ein Großauftrag ins Netz geht. Bei einem Auftragsvolumen von 20 bis 30 Millionen Euro pro Yacht sollte die Glocke dreimal klingeln im Jahr. Auf 60 bis 70 Millionen Euro beziffert Straub den Umsatz. „27 Yachten haben wir inzwischen ausgestattet.
Es spricht sich rum in diesem kleinen, exklusiven Segment: Wer ist gut und wer ist besser?“ Eine Handvoll Wettbewerber sieht Straub noch auf dem Weltmarkt, einen Österreicher, der Rest aus Deutschland. „Aber wir haben alle überholt.“
Der Antrieb war stets wild unternehmerisch: „Wir haben immer investiert in neue Maschinen und Verfahren, obwohl wir es uns nicht leisten konnten“, sagt Straub. „Wir wollten immer bessere Arbeit machen, die dann aber durch die höhere Qualität auch teurer wurde und ihre Kunden suchte.“
So preschen die Deutschen Werkstätten stets voraus – im mittlerweile sicheren Glauben, dass sich Qualität rentiert. „Die Superreichen zahlen uns unsere Entwicklung.“ Natürlich hört er öfter vorwurfsvoll, dass man der Dekadenz von Oligarchen Vorschub leiste.
Straub kontert mit Kurfürst August dem Starken, dem Dresden seinen Ruf als Elbflorenz verdankt. Auch er hatte für seinen ausschweifenden Lebensstil Künstler von überall her herangezogen. „Ihm macht man es nicht zum Vorwurf“, sagt er.
Von der Resterampe der Treuhand
Die Geschichte der Deutschen Werkstätten ist auch eine Geschichte einer bewegenden Rettung in der Nachwendezeit. Straub nennt die Übernahme des ehemaligen VEB von der Treuhandanstalt rückblickend „ein Himmelfahrtskommando“.
Mit Möbeln hatte er überhaupt nichts am Hut, als er im Mai 1992 erstmals nach Hellerau kam und auf den kopfsteingepflasterten Innenhof der Deutschen Werkstätten trat. „Der bröckelnde Putz war noch von 1909. Aber der Ort strahlte eine besondere Aura aus“, sagt Straub.
Der Pharmamanager aus dem Westen, 20 Jahre Karriere bei Hoechst, zuletzt Geschäftsführer bei der Kölner Firma Madaus, wollte nach dem Mauerfall als Unternehmer angreifen, eine DDR-Pharmafirma kaufen. „Doch die waren alle schon verteilt.“
Ein halbes Jahr reiste Straub mit zwei Co-Investoren durch die ehemalige DDR, 60 zu privatisierende Firmen hatten sie gesehen und abgelehnt. Bis der Treuhandberater die Deutschen Werkstätten vorschlug – diesen einstigen Vorzeigebetrieb der DDR-Möbelindustrie, der seine Wurzeln in der Reformbewegung des frühen 20. Jahrhunderts hatte. Von den 1.200 Mitarbeitern der Wendezeit waren noch 300 an Bord.
»Wir fahren mit jedem Auftrag hohes Risiko. Nur 75 Prozent sind für uns kalkulierbar.«
Fritz Straub, Deutsche Werkstätten Hellerau
„Als ich die Möbel aus Pressspan sah, wollte ich sofort kehrtmachen. Nee, die verkauft niemand.“ Doch dann fiel der Blick eher zufällig auf einen Raum im ersten Stock, in dem rund 70 Schreiner an Bänken standen. „Das sind die versiertesten Tischler der Republik, hieß es.“
Spezialisiert auf hochwertigen Innenausbau – für die Semperoper, das Gewandhaus in Leipzig oder Villen in Wandlitz. Diese Spezialtruppe, so der verwegene Plan, sollte die Keimzelle werden für den Neuanfang.
Es machte Klick, das Sanierungskonzept klang schlüssig: „Wir wollten das Unternehmen von Serienfertigung auf Einzelfertigung umbauen.“ Kunden, so dachte man, wird es genug geben. Denn die neuen Bundesländer mussten aufgemöbelt werden – und der Ruf des Betriebs war zumindest im Osten intakt.
Allein: „Der Sanierungsplan war reine Theorie. Das Leben gestaltete sich anders.“ Straub hatte unterschätzt, dass alle Architekten aus dem Westen stammten und keineswegs mit Ost-Firmen arbeiten wollten. „Und zu Recht, muss man sagen: Westdeutsche Tischlereien waren besser als wir.“
Nach Jahren der Mangelwirtschaft musste Straub auch in der Unternehmenskultur eine 180-Grad-Wende hin zur Wettbewerbswirtschaft initiieren. Er putzte Klinken, doch eine bittere Durststrecke war unvermeidlich.
In den frühen 1990er-Jahren saß er regelmäßig frustriert im Flieger nach Köln, wo er weiterhin wohnte – und traf dort reihenweise die pendelnden Staatssekretäre. „Irgendwann kannte man seine Sitznachbarn und ihre Story“, erzählt Straub. „Sagen Sie Bescheid, wenn ich was tun kann“, bot einer an.
Der Sächsische Landtag als Türöffner
Straubs Frau las eines Morgens im Kölner Stadt-Anzeiger: Der Kölner Architekt Peter Kulka baut den Sächsischen Landtag. Eine Mega-Chance auf einen Auftrag mit Strahlkraft. Straub klopfte an, wollte sich bewerben für den Innenausbau.
Kulka lehnte rigoros ab. An der Ausschreibung müsse sich die Hellerauer gar nicht erst beteiligen. Er kenne DDR-Firmen, stamme selber aus Dresden. „Ich versuche, diese Firma zu retten“, sagte Straub. Ohne Wirkung. Ihm fiel sein Flugzeugkontakt ein – und er nutzte diesen Hebel. Erfolgreich, top-down. „Kulka tobte. Aber wir haben das Parlament gebaut. Komplett neu, nicht nur den Plenarsaal“, sagt Straub.
Nach dem Innenausbau des Landtages und ersten Aufträgen aus Dresden, Leipzig und Berlin kam das Geschäft ins Rollen. Im wahrsten Sinne, denn Straub wurde beauftragt von der Deutsche Bahn AG. „Wir haben den Metropolitan gebaut“ – einen herrlichen Luxuszug, der für die Strecke Köln-Hamburg vorgesehen war und ab 1999 fuhr.
Innen nur erstklassig mit schwarzem Leder und Schweizer Birnbaum, veredelt mit extra kratzfestem Lack. Das Problem: Als der Bahnchef wechselte, war das Projekt tot. Die hohen Vorleistungen? Versenkt.
„Der Zug hat uns an den Rand des Ruins gebracht. Denn unsere Option auf 14 weitere Züge war geplatzt“, sagt Straub. „Wie konnten wir nur so blöd sein, dachte ich. Bis mir auffiel: Wir hatten eine neue Kompetenz: bewegliche Räume.“
So war es der Metropolitan-Zug, der die Tür aufstieß zum heutigen Schwerpunkt: Yachtausbau. Der Chef der Bremer Lürssen-Werft kannte und schätzte den glücklosen Luxuszug, den Straub im Vorstellungsgespräch erwähnte. „Nur deshalb durften wir uns beweisen.“
Die erste Yacht, an der die Dresdener 1999 mitwirkten, war eine 140 Meter lange Yacht für einen Kunden aus dem Mittleren Osten. In der „VIP-Cabin“, dem Bereich für besonders wichtige Gäste, konnten die Deutschen Werkstätten ihr Können zeigen.
Wandpaneele aus gekälkter Eiche, mit Antiksilber abgesetzt. Der interne Arbeitstitel lautete „Mipos“ – kurz für „Mission possible“. Und tatsächlich: Der nächste Auftrag folgte auf dem Fuße. Heute kommen zufriedene Besitzer sogar auf Straub zu und sagen: „You build my house.“ Erst das Schiff, dann die Villa.
Und wie steht er selbst zum Thema Luxus? „Eine Yacht zu besitzen, interessiert mich nicht.“ Ihn reizen nur die Aufgaben im Entstehungsprozess. Eitelkeiten sind ihm fremd. „Ich habe nie viel Geld verdient. Ich lebe das normale Leben eines mittleren Mittelständlers.“
Er pflegt auch eine Unternehmensführung, die der eigenen Dominanz misstraut, fährt einen Golf GTI, bewohnt in Frankfurt am Main eine Stadtwohnung zur Miete. „Und wenn ich in die ewigen Jagdgründe gehe“, sagt er mit einem Lächeln, „dann geht das Null auf Null aus.“
Schiffsexperten aus Sachsen
Von VEB-Möbeln zu maßgefertigtem Luxus – die bewegte DWH-Geschichte.
Die Deutschen Werkstätten spiegeln die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Karl Schmidt gründet 1898 in Hellerau bei Dresden eine Tischlerei und die erste deutsche Fabrik für industriell hergestellte Möbel, formschön und hochwertig. 1907 wird Schmidt Mitbegründer des Werkbundes und initiiert die umgebende Gartenstadt – die erste ihrer Art in Deutschland. Der Reformarchitekt Richard Riemerschmid baut ab 1909 die Werkhallen. 1951 wird das Unternehmen in Volkseigentum umgewandelt und fertigt als VEB Schrankwände, während sich die Abteilung „Sonderfertigung“ um repräsentativen Innenausbau kümmert. Der Pharmaunternehmer Fritz Straub, geboren 1943 in Saarbrücken, geht 1992 das Wagnis ein und kauft die marode Möbelfabrik von der Treuhand. Seither erfindet Straub das Unternehmen immer wieder neu. 1999 kommen erste Aufträge im Yachtbau. Heute gilt das Unternehmen als weltweit führend im Innenausbau von Privatresidenzen, Yachten, Vorstandsetagen und Luxushotels. Nach Repräsentanzen in Russland, England, Frankreich und der Schweiz steht künftig auch der chinesische Markt im Fokus.