Wenngleich die Fische der Zucht Alpenland selbst nicht von blauem Geblüt sind, lässt sich ihnen ein gewisser Adel nicht absprechen. Im reinen Quellwasser der Alpen wachsen sie in aller Ruhe unter idealen Bedingungen auf. Ganz in der Tradition derer von Faber-Castell.
Gekonnt greift die Hand des jungen Australiers das schwarzglänzende Krustentier aus dem Aquarium. Offenbar verschreckt lässt der stattliche Flusskrebs die Möhre fallen, die er in den Scheren hielt. „Das ist ein Marron“, erklärt der Fischexperte, „der drittgrößte Süßwasserkrebs der Welt.“ Das rund ein Pfund schwere Tier lebt ausschließlich in fließenden Gewässern und stammt ebenso wie der Mann, dessen Hand es hält, vom fünften Kontinent. Dass die beiden sich hier im allgäuischen Griestal begegnen, ist gewiss ein Zufall. Doch die Wahrscheinlichkeit dieses Zusammentreffens ist durchaus höher als zunächst zu vermuten.
Denn Graf Anton Andreas von Faber-Castell ist nicht nur passionierter Angler, sondern hat von seiner Tante Michaela Rosemeyer-Gräfin zu Castell auch die Fischzucht Gräflich Castell’sche Delikatessen übernommen. Und der in Sydney geborene Neffe des Schreibwaren-Grafen Anton Wolfgang war es auch, der das australische Krustentier nach Bayern geholt hat. „Eine sehr exklusive Spezialität“, wie er betont. Denn nicht mehr als 80 bis 100 Kilo der stets lebendig transportierten und leicht süßlich schmeckenden Feinkost gelangen pro Woche nach Europa. Wie der geräucherte Kingfish, die Pazifik-Austern oder der Loch-Duart-Lachs kommt die Delikatesse aber nicht allein bei den zahlreichen Familienfeiern der Faber-Castells auf den Tisch, sondern beglückt auch Gäste diverser Edelrestaurants sowie die Kunden exklusiver Caterer. Nicht minder gefragt sind die Spezialitäten, die in den 21 Teichen der Fischmanufaktur herangezüchtet werden. Die ist am Ende des idyllischen Griestals gelegen, inmitten tannenbedeckter Berge, deren acht Quellen die Teiche mit kristallklarem Wasser speisen. Darin tummeln sich Forellen, Lachsforellen und Saibling sowie Waller und Karpfen – jeweils nach Art und Größe getrennt. Riesige Drahtnetze umspannen das Areal, um die Bewohner der Aquakultur vor den Attacken von Fischreihern und Kormoranen zu schützen. Und wenn Graf Toni – wie ihn seine 25 fest angestellten Mitarbeiter nennen – an den Teichen vorbeistreift, um nach dem Rechten zu sehen, begleitet ihn in Erwartung von Futter stets ein riesiger Fischschwarm auf seinem Weg entlang des Ufers.
Aufgewachsen in Down Under
Wie der smarte Familienunternehmer da in Jeans und kariertem Hemd unter dem blauen Wollpulli in Gummistiefeln über die Wiese schreitet, muss ihm der pazifische Ozean vor seiner Heimatstadt Sydney unendlich weit entfernt erscheinen. In Tamara am North Shore der Metropole ist Faber-Castell nahe des Meeres aufgewachsen. „Wie in Grünwald, nur mit Küste und mehr Sonne“, beschreibt er den Ort seiner Kindheit. Den Vater Andreas Wilhelm hatte es dorthin verschlagen, weil er sich während des Studiums in der Schweiz in die junge Amerikanerin Virginia Ruth Porter verliebt hatte. Als die Dame seines Herzens zu Working Holidays nach Australien aufbrach, folgte er ihr kurzerhand, um – so die offizielle Version – sein Englisch zu verbessern. Das gelang offenbar recht gut, denn das Paar blieb und bekam drei Kinder: neben dem jüngsten, Anton, die beiden Mädchen Natalie und Alea. Während sich die jüngere, Alea, den Umweltwissenschaften zuwandte, arbeitet Natalie im Marketing von Faber-Castell Australien und unterstützt so ihren Vater, der als Regional Managing Director Asian/Pacific des Familienunternehmens fungiert. Betriebswirt Anton hingegen hatte bereits als Student bei seiner Tante Michaela Rosemeyer-Gräfin zu Castell das Handwerk der Fischzucht von Grund auf erlernt. Wenn Not am Mann ist, steht er noch heute am Filetiertisch, um die frisch geräucherte Ware portionsgerecht zu zerteilen. Im Anschluss an sein Studium begann der Graf, die 13 Hektar große Anlage eine Weile mit seiner Tante gemeinsam zu bewirtschaften.
Nach dem Tod der 66-Jährigen im August 2011 entschied sich der junge Mann, den Betrieb allein weiterzuführen. Sein Onkel, Prof. Bernd Rosemeyer, Sohn des berühmten Rennfahrers und bekannter Münchener Orthopäde, war dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage. Dessen Kinder sind weiterhin Minderheitseigner, üben aber andere Berufe aus. Die Fischzucht geht ohnehin auf die Familie der Tante Michaela zurück. Und wer heute das große Bauernhaus am Hauptteich betritt, trifft auf zahlreiche Zeugnisse der Vergangenheit. Fast nichts hat Graf Anton verändert, der hier während der Woche wohnt: weder in der heimeligen Zirbelstube mit dem grünen Kachelofen noch in dem lichten Esszimmer, über dessen Tisch ein Kronleuchter aus dem Haus von Walzerkönig Johann Strauss leuchtet. Überall hängen Bilder: Fische in Öl, Kinderzeichnungen von Bernd und Daisy für ihre Eltern und Fotografien aller möglichen Familienmitglieder. Neben dem Grafen bewohnen es zudem der Betriebsleiter des Unternehmens sowie der Zuchtmeister und zwei weitere Angestellte. Die Parade robuster Gummistiefel im gemeinsamen Eingangsbereich zeugt von der Nähe zum Wasser. Und so gering die räumliche Distanz zur Zucht ist, so familiär ist der Betrieb insgesamt. Fast die ganz Belegschaft wohnt in Griestal oder einem der umliegenden Dörfer.
260 Tonnen Fisch pro Jahr
Zur Mittagszeit herrscht weitgehend Ruhe im Unternehmen. Einzig im Bruthaus rauscht das Wasser aus Dutzenden Wandhähnen in kleine Becken hinein. In denen tummeln sich Hunderte Fischbabys. Sicher vor den größeren Artgenossen wachsen sie hier heran, bis sie hinaus in einen der großen Außenteiche dürfen, wo sie in Ruhe bis zur Schlachtreife wachsen. Erst wenn eine Bestellung eintrifft und so ein Fisch am nächsten Tag ausgeliefert werden soll, wird er am Nachmittag gefangen und direkt weiterverarbeitet. Schließlich sollen die 260 Tonnen Fisch, die hier jährlich versandt werden, stets frisch sein.
Kommt der hochwertige Fang nicht als Frischfisch auf den Tisch, lagert er entweder zwölf Stunden in Salz, um dann vakuumisiert oder schockgefrostet zu werden. Oder er gelangt in einen der Räucheröfen. Dabei handelt es sich jedoch um eine komplett separate Produktionskette. „Wegen der Keimgefahr ist die Verarbeitung von Frisch- und Räucherfisch räumlich und zeitlich voneinander abgeschottet“, betont Graf Anton von Faber-Castell. Um seinen Betrieb EU-zertifizieren zu lassen, waren zahlreiche Umbaumaßnahmen nötig. Nun durchläuft der Besucher an jeder Ecke eine Hygieneschleuse, und die vermummten Mitarbeiter tragen unterschiedlich gefärbte Haarnetze – je nachdem in welchem Teil des Betriebs sie jeweils tätig sind.
So modern die Hygienemaßnahmen sind, so traditionell erfolgt die Behandlung der Gräflich Castell’schen Delikatessen. Die Räucheröfen beispielsweise gehören noch zur Erstausstattung des rund 50 Jahre alten Betriebs. Acht dieser Edelstahlkammern sind fast täglich beim Heißräuchern im Einsatz. Das verwendete Buchenholz stammt aus der direkten Umgebung des Fischzuchtbetriebs und erzeugt wohlriechenden Rauch, der bei einer Temperatur von rund 65 Grad die Fische in den Kammern umweht und ihnen ihren unverwechselbaren Geschmack verleiht. Ständig muss der Räuchermeister das Feuer im Auge haben, den Rauch und seine Temperatur überwachen, Holz nachlegen und den Zustand der Fische prüfen. Und je nach Wetter und Luftfeuchtigkeit verliefe der Räucherprozess unterschiedlich. „Leute zu finden, die das beherrschen, ist sehr schwierig“, betont der Graf.
Bei aller Verbundenheit zur Tradition scheuen die Fischexperten keine Experimente. Ihre mit australischer Zitronenmyrte aromatisierte Forelle etwa hat sich zum Verkaufsschlager entwickelt. Und eigens für die Wiesn haben Faber-Castell und sein Produktentwickler Kurt Protzner vergangenes Jahr eine Lachsforelle mit Bieraroma ersonnen. Protzner gilt in der Branche als Persönlichkeit der gehobenen Fischmeisterei. Auf einer Schale hat er eine Auswahl von Malzen und Hopfenblüten drapiert, die er per Gasbrenner erhitzt. „Riechen Sie mal“, sagt er schwärmerisch. Doch bevor ein Fisch in den Handel kommt, müssen beide Herren vom Ergebnis vollkommen überzeugt sein – wie bei allen Produkten der Fischzucht Gräflich Castell’sche Delikatessen.
Die Firma auf einen Blick:
Seit mehr als 50 Jahren werden in Griestal, inmitten der Allgäuer Alpenlandschaft, auf einer 13 Hektar großen Anlage rund 260 Tonnen Fisch pro Jahr produziert – gezüchtet, verarbeitet, teilweise geräuchert. Der Schwerpunkt der Gräflich Castell’schen Delikatessen GmbH liegt dabei auf den traditionellen und lokalen Produkten, hinzu kamen jüngst Spezialitäten aus pazifischen Gewässern. Fischzucht und Fabrikation wurden 2008 komplett saniert, erfüllen die strengen HACCP-Vorschriften, sind als EU-zertifizierter Betrieb zugelassen und werden regelmäßig vom Veterinär überprüft. Derzeit beschäftigen die beiden Geschäftsführer Anton Andreas Graf von Faber-Castell und Andreas Graf von Faber-Castell 25 fest angestellte Mitarbeiter, die zum größten Teil in Griestal oder unweit des Familienbetriebs in umliegenden Dorfschaften leben.