Immer mehr Mittelständler arbeiten in regionalen Netzwerken zusammen – und bündeln so ihr Know-how und ihre Interessen. Sie sind eine willkommene Ergänzung zu den traditionellen Wirtschaftsverbänden, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Fachkräftemangel, Globalisierung, Industrie 4.0 – das sind nicht nur eine ganze Menge, sondern auch große Herausforderungen. Allerdings verfügen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen nicht über eigene Stabsstellen und Experten, um solche grundlegenden Probleme zu lösen. Auch die Kammern und Verbände können meistens keine Hilfe leisten. Sie sind mit übergeordneten, zumeist politischen Themen ausgelastet und verfügen in der Regel auch nicht über ausreichend Personal, um einzelne Betriebe individuell zu beraten.
Know-how bündeln
In letzter Zeit holen sich die Unternehmen auf andere Weise Unterstützung. Zum Beispiel bei der „Offensive Mittelstand“, einem Netzwerk der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA). Dahinter verbergen sich gemeinsame Aktivitäten des Bundes, der Ländern sowie zahlreicher Kammern, Fachverbände und Innungen. Mit Gründung der INQA haben diese Institutionen die ausgetretenen Pfade der klassischen Verbandspolitik verlassen. Sie kooperieren statt – wie früher üblich – nur auf den eigenen Teller zu schielen. Gemeinsam mit weiteren Partnern wie etwa Forschungsinstituten und Wirtschaftsförderungseinrichtungen rufen die Initiatoren regionale Netzwerke ins Leben. Hier können sich die ortsansässigen Betriebe mit praxisrelevanten Informationen und Arbeitshilfen versorgen. Gefahrstoffschutz, Fachkräftesicherung, berufliche Bildung und betriebliche Gesundheitsvorsorge sind nur einige der Themen, die auf der Agenda stehen. Zum Kernangebot gehört der INQA-Unternehmenscheck: Firmenchefs können in elf Schritten ihre Verbesserungspotenziale identifizieren und erhalten zugleich Anregungen für passende Maßnahmen. Sie werden in die Lage versetzt, systematisch und kontinuierlich betriebliche Optimierungsprozesse zu verwirklichen.
Ortsnähe, konkreter betrieblicher Nutzen und Möglichkeiten der aktiven Mitwirkung – dies sind Eigenschaften, die viele Unternehmer bei ihren Verbänden einst vermissten. Die Konsequenz: Ende der 2010er-Jahre liefen ihnen die Mitglieder davon. Mehr als 60 Prozent der großen Initiativen klagten 2008 über eine steigende Zahl an Austritten. „Die Sinnhaftigkeit einer Mitgliedschaft wird zunehmend hinterfragt“, analysierte damals das Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Heute ist die Situation eine andere: Laut einer Statistik der Deutschen Gesellschaft für Verbandsmanagement (DGVM) gab es Ende 2016 in Deutschland 15.749 Verbände. Davon wird rund die Hälfte dem Aufgabenbereich Arbeit und Wirtschaft zugerechnet – ein Plus von rund fünf Prozent gegenüber 2008. „Unsere Statistik bestätigt auch, dass sich zunehmend Unternehmernetzwerke auf regionaler Ebene bilden“, sagt DGVM-Geschäftsführer Wolfgang Lietzau und ergänzt: „Die Entwicklung zeigt, dass der persönliche Austausch – sozusagen auf Zuruf – an Bedeutung gewonnen hat.“ Ein Indiz dafür ist die überproportional stark steigende Zahl von Seminaren und Kongressen, die nicht zuletzt durch die regionalen Initiativen durchgeführt werden. Die DGVM beobachtet zudem: Meist vernetzten sich die ortsnahen Gruppen mit bestehenden nationalen Verbänden, die wiederum die gemeinsamen Interessen auf Landes- und Bundesebene vertreten.
So wie im Fall der INQA. Von deren regionaler Expertise profitiert etwa der Steinmetzbetrieb Natursteine Glöckner in Neunkirchen-Hangard. Katja Hobler, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Markus Glöckner das auf Restaurierung und Denkmalpflege spezialisierte Unternehmen führt, lobt: „Es werden Unternehmen sowohl aus dem Handwerk wie auch aus Industrie und Handel zusammengebracht.“ Zudem empfindet die Unternehmerin es als Gewinn, dass das Netzwerk in seiner Ausrichtung nicht monothematisch ausgelegt ist. Stattdessen werden unterschiedliche Aspekte unternehmerischen Handelns zukunftsorientiert aufgegriffen. Jeder Firmenchef, der an den Treffen teilnimmt, kann sich einbringen. Frei nach dem Motto, das die Initiatoren ausgegeben haben: vorhandene Kräfte bündeln und daraus Synergien schöpfen. Und das bei einem Mitgliedsbeitrag von null Euro.
Straffe Organisation
Die Mitglieder des Berliner Technologiekreises Adlershof (TKA) zahlen einen Jahresbeitrag von 250 Euro. Aber nur, wenn die Firma mindestens zehn Beschäftigte hat. Für kleinere Betriebe reduzieren sich die Ausgaben auf nur 150 Euro. „Wir haben eine sehr unkomplizierte Struktur, die nur ein Minimum an organisatorischem Aufwand erfordert“, sagt Christine Wedler, Geschäftsführerin ASCA, eines Spezialisten für Angewandte Synthesechemie und gleichzeitig Vorstandsvorsitzende des TKA. Einzige bezahlte Kraft des TKA ist eine Sekretärin – und selbst diese arbeitet in Teilzeit. Ansonsten heißt die Devise: Man kennt sich, man hilft sich. Und alles dient einem Ziel: die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern mit den Einrichtungen der außeruniversitären Forschung und den naturwissenschaftlichen Instituten der Berliner Humboldt-Universität zu fördern. Schließlich sollen die Unternehmen Zugang zu neuen Ideen, zu lukrativen Synergiechancen und zu angehenden Fachkräften finden.
Alles in allem also ein überschaubares, aber sehr interessantes Angebot für die Unternehmen. „Solche Initiativen haben im Vergleich zu den klassischen Verbandsstrukturen ein deutlich schlankeres Personalgerüst, was die Kosten senkt. Zudem sind sie oft Bündnisse auf Zeit, sodass die Unternehmer ihre Kosten leichter abschätzen können“, erläutert Professor Ulrich von Alemann von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Zusammenschluss auf Zeit
Der Düsseldorfer Organisationsexperte spricht damit eine weitere Entwicklung an, die bei Unternehmensverbänden und -vereinen in den letzten Jahren zu beobachten ist: die starke Fokussierung auf ein Thema. „Die Mitgliedsbetriebe eint ein Ziel, welches sie in der Öffentlichkeit vertreten wollen – sie bleiben so lange organisiert, bis ihre Zielsetzung erreicht ist oder sich die Problemstellung verändert hat“, sagt von Alemann. So zum Beispiel auch die Initiative Energieeffizienz Netzwerke, kurz IEEN. Maximal drei Jahre besteht die Mitgliedschaft in einem der rund 130 regionalen Ableger. Der Zweck des von der Bundesregierung und den Wirtschaftsverbänden ins Leben gerufenen Aktionsbündnisses ist die Senkung des Energieverbrauchs. Hierfür wurde eigens ein für alle Mitglieder vorgegebener Prozess entwickelt und implementiert: Nach einer Erstberatung legt jedes teilnehmende Unternehmen sein Einsparziel fest. Aus den kumulierten Einsparzielen aller Unternehmen ergibt sich dann das Einsparziel für das gesamte, bundesweite Netzwerk. Regelmäßiger Erfahrungsaustausche unter Begleitung externer Experten sorgt für die praktische Umsetzung der identifizierten Maßnahmen. Zudem wird in einem jährlichen Monitoring die Zielerreichung überprüft und ein aktueller Status der Energie- und CO2-Einsparungen erstellt.
Strenge Vorgaben also. Dennoch boomt IEEN: Bis Ende 2020 sollen deutschlandweit insgesamt 500 Netzwerke entstehen. Für die Dienstleistungen des Netzwerkträgers, des Moderators und des Energieberaters müssen die Firmen zwar zahlen. Aber dank der Energieeinsparung profitieren sie unterm Strich. Bei rund 65 Prozent der Teilnehmer liegt der Aufwand einschließlich der eigenen internen Kosten unter 5.000 Euro pro Jahr. 83 Prozent der IEEN-Mitglieder bewerten das Kosten-Nutzen-Verhältnis mit gut bis sehr gut.
Gegenseitige Hilfe
Branchen-Cluster sind dagegen meist längerfristig angelegt. Sie entstehen vor allem in Regionen, in denen sich Unternehmen der gleichen Branche konzentrieren. „Gemeinsam lassen sich über alle Wertschöpfungsstufen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten vorantreiben und dadurch Innovationen schneller realisieren“, so Claudia Buhl, Seniorberatin bei der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH.
Bereits seit einigen Jahren gibt es im Großraum Braunschweig beispielsweise die Kooperationsinitiative Maschinenbau (KIM), in der rund 30 Mittelständler zusammengeschlossen sind. Der Arbeitgeberverband Region Braunschweig (AGV) sowie die TU Braunschweig und die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaft sind ebenfalls aktiv mit dabei. „Durch die Kooperation werden die Stärken der Region gebündelt und die enormen Synergiepotenziale erschlossen“, ist sich KIM-Geschäftsführer Rainer Kupetz sicher.
Die Kräfte bündeln
Die Unternehmen tauschen Personal aus, etwa wenn bei einem Mitglied die Auftragslage gerade mau ist, während im anderen Überstunden geleistet werden müssen. Arbeitsrechtlich geregelt wird dies durch einen Tarifvertrag zur Arbeitnehmerüberlassung. Dank gebündeltem Einkauf, gemeinsamer Entsorgung, Personalwerbung sowie Aus- und Weiterbildung senken die Firmen ihre Kosten. Und mit den Hochschulen wurde der Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis organisiert. „KIM ist eine Erfolgsgeschichte der Region Braunschweig und macht inzwischen bundesweit auf sich aufmerksam“, ist sich Kupetz sicher.
Bei allem Lob gilt auch für diese Initiative: Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss stimmen. „Nur, wenn Sie für den Mitgliedsbeitrag einen angemessenen Gegenwert an individueller Beratung, passgenauem Service und zukunftsorientierten Veranstaltungen mit vielen Tipps für die Umsetzung im eigenen Unternehmen bekommen, ist das Mitmachen sinnvoll“, sagt Silke von Freyberg vom Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen in Baden (wvib). Umgekehrt bedeutet das aber auch: Netzwerke funktionieren nur, wenn jedes Firmenmitglied seinen Teil zum Geben und Nehmen beiträgt. Man sollte also als Unternehmer beispielsweise Zeit für den Besuch von Veranstaltungen und für die Teilnahme an Umfragen mitbringen. Klaus Endress, Verwaltungsratspräsident des weltweit tätigen Messtechnik-Spezialisten Endress + Hauser und langjähriger wvib-Präsident, zieht jedenfalls das Fazit: „Wenn gute Leute zusammenarbeiten, werden sie zwangsläufig noch besser.“