Ältere Mitarbeiter mit einer Abfindung in den Vorruhestand schicken, wäre eine Möglichkeit. Die andere ist, das Wissen der Routiniers zu nutzen. Wer auf die Leistung älterer Mitarbeiter vertraut, erhält erfahrene Fachkräfte, die zudem ihr Können an Jüngere weitergeben.

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Siegfried Ruser trifft in der Martin Luck Metallgießerei um zehn Uhr seinen ersten Kunden. Doch der 79-jährige Metallgießer aus Saarbrücken ist schon seit fünf Uhr auf den Beinen und hat einige Bahnen im Schwimmbecken gezogen. Ruser modelliert die Gussformen für künstlerische Figuren, Medaillen und Bronzeplaketten.
66 Jahre Handwerk sind vom Computer nicht zu toppen. Das beweist er den Azubis und Maschinenbaustudierenden, die bei Luck ihr Praktikum machen und 3D-Druck-erprobt sind. „Die jungen Leute sind fasziniert von der Hochwertigkeit der Bronzestatuen“, sagt Gießereileiter Jens Reuß. „Sie feilen an ihrer Genauigkeit, um Siegfried Ruser zu beeindrucken.“ Er und zwei rüstige Dreher, beide über 70 Jahre alt, arbeiten jeweils an einem Tag in der Woche in der Werkstatt und geben ihr Wissen weiter. Auf Minijobbasis.
Damit gehören sie zu den 1,4 Millionen Erwerbstätigen, die auch nach dem Einstieg in die Rente arbeiten, und zu dem Viertel aller Erwerbstätigen, die 55 Jahre und älter sind. Das spiegelt den Trend auf dem Arbeitsmarkt wider. Doch trotz hektischer Fachkräftesuche tun sich viele Chefs schwer, die Arbeitsleistung älterer Mitarbeiter zu würdigen und zu stärken. In Befragungen machen Manager das Alter mies.
Der Wirtschaftspsychologe Jürgen Deller an der Leuphana Universität Lüneburg hat Studien gesammelt und ausgewertet: Lernbereitschaft, Kreativität und Produktivität schreiben Führungskräfte eher Jüngeren zu. Auch bei Stressresistenz und Flexibilität punkten Mitarbeiter unter 35 Jahren. Lediglich Zuverlässigkeit und Loyalität sind Werte, die Manager von Mitarbeitern über 55 Jahre eher erwarten.
Die Stereotypen bezeichnet Deller als ungerecht und kurzsichtig. Denn er hält die fallende Leistungskurve für verschiebbar: durch eine Personalarbeit, die sich an den Lebensphasen der Beschäftigten orientiert.
Altersgerechte Arbeitszeitmodelle einführen
Für ältere Mitarbeiter und Führungskräfte bedeutet das: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) starten, altersgerechte Arbeitszeitmodelle bis über die Rentengrenze hinaus einführen und die Arbeitsplätze geschickt gestalten. Deller plädiert für altersgemischte Teams. Vertrauen in Leistungsfähigkeit und -wille der Älteren hilft.
Denn wenn sich Beschäftigte und Führungskräfte im Alter engagieren, sinkt ihre Produktivität nur um ein Prozent – weitaus geringer also als gefühlt. Aber weil auch der motivierteste Wissensträger nicht ewig im Unternehmen bleibt, muss die Firma die Nachfolge planen.
Deshalb betreibt das Metallunternehmen Altenloh, Brinck & Co-Gruppe im nordrhein-westfälischen Ennepetal Wissensmanagement in der Lehrwerkstatt. Ein verrenteter Presserei- und Schweißermeister macht vor, wie man Blechabdeckungen und Schablonen herstellt, für die es keine vorgefertigten Prozesse gibt.
Ausbildungsleiter Hans-Jürgen Barth: „Man muss fürs Umformen heute keinen Pythagoras mehr berechnen, aber man muss den Gedankenprozess vorschalten, um auf die richtige Stelle der Digitalanzeige zu tippen.“ Das gucken sich die Jugendlichen besonders gerne vom Älteren ab, wenn sie zu Übungszwecken gemeinsam aus einem Müllcontainer einen Strandkorb bauen.
Altersstrukturanalyse ist zwingend erforderlich
Es muss also nicht gleich ein Auftrag mit 100 Beratertagen sein, wenn ältere Beschäftigte ins Zentrum der Überlegungen geraten. Man kann bei Mitbewerbern abschauen. Denn kleine Firmen stemmen mit Bordmitteln das, was zum eigenen Handwerk passt. Allein der erste Schritt ist unumgänglich: die Altersstrukturanalyse. Aber auch dazu reicht meistens eine Excel-Tabelle.
Von 128 Unternehmen, die im Trendbarometer Demografie Exzellenz 2018 von Kienbaum befragt wurden, führten fast 47 Prozent eine Analyse durch, aber weniger als zehn Prozent hatten ein Budget fürs Demografie-Management. Es hapert an der Umsetzung. Vielen Chefs klingt Arbeitsgestaltung zu aufwendig, doch oft helfen kleine Veränderungen immens weiter.
„Im Elektrikerhandwerk können die Jüngeren im Team die Schlitze für die Kabel in die Wand stemmen und die Älteren mit ihrer Erfahrung die Elektrotechnik in der Hausinstallation planen“, sagt Thomas Kujawa, Berater der Familienfreund KG in Leipzig. „Im digitalen Zeitalter sogar vom Arbeitsplatz zu Hause aus.“
Das 2006 gegründete Unternehmen berät kleine und mittlere Betriebe zu Fachkräftesicherung, Mitarbeiterbindung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
So entwickeln Unternehmen eine Demografie-Strategie
Eine solide Analyse ist unerlässlich. Diese Infos sollten Unternehmer über jeden Mitarbeiter zusammentragen:
klassisch: Alter, Geschlecht, Qualifikation, Abteilung/Standort, Tätigkeitsbereich, Hierarchie
erweitert: Betriebszugehörigkeit, Beschäftigungsumfang, Schichtarbeit
Zusatzdaten: Arbeitsunfähigkeitstage (12 Monate), Weiterbildungstage, Weiterbildungsthemen
Ein weiterer Hebel ist der Krankenstand. Er betrug 2017 bei den gesetzlich Versicherten 4,2 Prozent, kann aber durch betriebliche Gesundheitsmaßnahmen, so der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK), um ein Viertel reduziert werden. Oder umgerechnet: Jeder investierte Euro bringt Einsparungen in Höhe von 2,70 Euro.
Ältere und jüngere Mitarbeiter unterscheiden sich bei Krankentagen dadurch, dass die Jüngeren häufiger fehlen, die Senioren aber länger brauchen, um wieder fit zu werden. Muskel-Skelett-Erkrankungen, psychische Störungen und Krankheiten des Atmungssystems stehen an der Spitze der Diagnosen.
Wobei es zum – ungeliebten – Allgemeinwissen gehört, dass eine gesunde Lebensweise einiges rettet. Der Hamburger Sportmediziner und Berater für Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) Dirk Lümkemann entwickelt in Unternehmen Gesundheitsstrategien mit.
Er setzt Impulse für Bewegung und Ernährung, für Stressbewältigung und den Umgang mit Alkohol und Nikotin. „Ich frage nach, stärke und unterstütze die Veränderung“, sagt Lümkemann. „So bilden alle Mitarbeiter neue Gewohnheiten.“
Demografischen Wandel bewältigen
Größer aufgezogen hat die Deutsche Gasrußwerke Dortmund das Thema. Nachdem trotz guter Zahlen Unzufriedenheit durch die Werkshallen waberte, macht der Hersteller von Gasruß, einem schwarzen Pulver für Farbstoffe und Autoreifen, seinen Betrieb mit 140 Beschäftigten nun zukunfts- und demografiefest.
Bereichsleiter, Meister, Labor- und Logistikmitarbeiter, Facharbeiter und Betriebsratsmitglieder nahmen sich in zwölf Teams den Energieverbrauch ebenso vor wie die Arbeitsorganisation und das Bündel Umwelt, Sicherheit und Gesundheit. Sie organisierten Gesundheitstage sowie ein Meldesystem für Beinaheunfälle unter dem Label „Lakritz – Lernen aus kritischen Zuständen“.
Mitarbeiter und Geschäftsführer nahmen gemeinsam ab, einge halten das Gewicht sogar nachhaltig. In den Werkstätten verteilen Teams von fünf bis sieben Mitarbeitern ihre Arbeit über einen Koordinator. Schonarbeitsplätze konnten abgeschafft werden, weil die Gruppe Aufgaben umverteilt, wenn ein Kollege körperlich schwächelt.
„Die Lösungen aus den Prozessteams funktionieren“, sagt Susanne Kleibömer, die diese Arbeitsweise als Organisationsentwicklerin 2008 angestoßen hat und jetzt Bereichsleiterin Logistik ist. „Man braucht nur etwas Mut und darf bei Schwierigkeiten nicht in alte Muster zurückfallen.“ Kürzlich hat sie einen 63-jährigen Leiharbeiter fest eingestellt.
Und: Von der Ausbildung bis zur Rente kann jeder Mitarbeiter in den Prozessteams mitmischen, das erhöht die Loyalität.
Motivation fördern
Neben der Treue zur Firma fördert der aktive Umgang mit den eigenen Lebensjahren auch die Motivation im Job. „Wir wollten das Tabuthema Älterwerden aufbrechen“, erklärt Matthias Lehmann, Personalleiter bei Hekatron. Mit 900 Mitarbeitern entwickelt, produziert und vertreibt das Unternehmen im südbadischen Sulzburg Rauchmelder und Brandschutzanlagen.
„Spricht ein Vorgesetzter einen Mitarbeiter auf sein Alter an, soll der nicht aussortiert werden, sondern sagen, was er noch reißen will in der Firma und wie er sich auf das Leben danach vorbereitet“, so Lehmann. Zum Durchschnittsalter von 43 Jahren steuern 47 Auszubildende und Studierende ihre Lebensjahre ebenso bei wie 161 Beschäftigte über 55 Jahren.
Für diese zweite Gruppe hat Hekatron ein Modell entwickelt, das für die Arbeit begeistert und die Angst vor dem Alter minimiert. In einer Standortbestimmung formulieren die Personalmanager sechs Phasen – von der Orientierung ab 55 Jahre über die Klärung ab 59 bis zum Übergang in die nachberufliche Zeit, die weit über den Renteneinstieg mit 65 hinausgehen kann.
Ein ehemaliger Geschäftsleiter bringt etwa sein Know-how noch in externen Fachgremien ein, eine 66-jährige Arbeiterin montiert Brandmelder, ein Layouter sitzt auch mit 67 weiter am PC und ein Außendienstler pflegt ebenfalls mit 67 Jahren in einem verkleinerten Vertriebsgebiet die Kunden, die ihm seit Jahrzehnten vertrauen. Stichtag für alle Überlegungen ist der 55. Geburtstag.
Als Ort für den Start in die letzten zehn bis 20 Arbeitsjahre wählt Hekatron das Kloster St. Trudpert im Südschwarzwald. Die Teilnahme am Orientierungsseminar ist freiwillig. Auch der inzwischen 62-jährige Geschäftsführer hat es schon für die persönliche Planung seiner letzten Arbeitsphase besucht. „Wir wollen individuelle Arbeits- und Ausstiegsszenarien finden“, betont Lehmann.
Denn auf den einen warten zu Hause Familie und Hobbys, der andere sieht seine Kräfte schwinden und möchte in einem Stufenmodell von fünf Tagen pro Woche über drei auf null kommen. Und der Nächste möchte bleiben – wie der 69-jährige Hausmeister, der seinen Nachfolger täglich von sieben bis neun Uhr unterstützt, in der Kantine frühstückt und dann zum Schwimmen oder in seinen Hobbyraum geht.
Entscheidend für ein Modell wie bei Hekatron ist die offene Einstellung der Führungskräfte gegenüber älteren Mitarbeitern. Personalleiter Lehmann: „Mitarbeiter müssen mit ihren direkten Chefs ins Gespräch kommen, dann profitieren Arbeitnehmer und Firma gleichermaßen.“
Awards und Auszeichnungen für Unternehmen mit exzellenter Demografiestrategie und gutem betrieblichem Gesundheitsmanagement
Demografie Exzellenz Award – Die Kooperation von Kienbaum mit dem Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg zeichnet Unternehmen mit hervorragender demografieorientierter Personalarbeit aus. Gute Beispiele.
Later Life Work Index – Das Forschungsprojekt der Leuphana Universität Lüneburg analysiert betriebliche Faktoren für einen erfolgreichen Umgang mit altersdiversen Belegschaften. Ein kostenloser Test ermöglicht mit anonymisierten Firmenvergleichen eine Selbsteinschätzung zum Thema Demografie.
Corporate Health Award – Gemeinsam mit dem Handelsblatt vergibt EuPD Research Sustainable Management, ein Anbieter für die Analyse, Auditierung und Modellierung nachhaltiger Betrieblicher Managementsysteme, bereits seit zehn Jahren den Corporate Health Award für ausgezeichnetes Betriebliches Gesundheitsmanagement.
Deutsches Siegel Unternehmensgesundheit – Das Deutsche Siegel Unternehmensgesundheit (DSUG) beurteilt die Qualität und Wirksamkeit des Betrieblichen Gesundheitsmanagements von Unternehmen. Es wird vergeben in den Stufen Bronze, Silber oder Gold. Kooperationspartner sind die Betriebskrankenkassen Deutschlands.
Danke für diesen Beitrag zum Thema, warum Unternehmen ältere Mitarbeiter halten sollen. Erfahrung in Konstruktion ist besonders wichtig. Jede Firma soll sie schätzen.