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Creditreform

Kleben kann eine Wissenschaft sein. Ohne die hochgeheimen Rezepturen des Familienunternehmens Delo geht in vielen Branchen nichts. Eng verbandelt mit der Industrie setzt sich Delo in Nischenmärkten fest – doch bei Forschung und Entwicklung bleiben die Oberbayern autark.

Draußen die satten Wiesen des Allgäus, drinnen Hightech: Für Sabine Herold, Chefin des Spezialklebstoffherstellers Delo, ist dieser Kontrast lieb gewonnener Alltag. Ein Weltmarktführer buchstäblich auf der grünen Wiese – hier in Windach am Ammersee ist es Realität. Mit einem verschmitzten Lächeln bittet sie den Besucher um eine simple Schätzung: Wie viele Funkchips sich wohl mit einem Liter Delo-Spezialklebstoff auf EC- oder anderen Chipkarten anbringen lassen? Die geschäftsführende Gesellschafterin weiß, dass ihr der Überraschungseffekt jedes Mal gelingt: 20 Millionen Karten sind es.

Kleben für die Digitalisierung

Kleine Mengen, große Wirkung, erfolgreiche Geschäfte: Auf diese Formel lässt sich die Erfolgsstrategie des Mittelständlers Delo Industrie Klebstoffe bringen. Ob Kreditkarte oder SIM-Karte im Handy – in zahlreichen Alltagsprodukten ist ein winziger Tropfen Klebstoff des Unternehmens enthalten, der extrem widerstandsfähig ist und auch mal eine unfreiwillige Wäsche übersteht. Bei den Smartcards hat Delo damit einen Weltmarktanteil von 80 Prozent erreicht. Die Firma aus dem Allgäu macht sich unentbehrlich für die digitale Revolution. Tropfen für Tropfen.

Auch in anderen Geschäftsfeldern gilt das gleiche homöopathische Prinzip. Im Schnitt erlöst das Unternehmen dabei zwischen 250 und 300 Euro pro Liter, bei Spezialkleber für Smartcards können es bis zu 5.000 Euro sein. Meist verlassen nur verhältnismäßig kleine Chargen das Werk in Windach – je nach Eigenschaften des Klebstoffs in lichtdicht verpackten Flaschen oder sogar heruntergekühlt. Ohne diese wertvollen Tropfen würde in der Industrie wenig gehen: Beim BMW i3 fixiert ein Klebepunkt einen Metallgewindebolzen auf kohlefaserverstärktem Kunststoff. Im Handy wird dank einer kaum sichtbaren Dosierung das Mikrofon befestigt, das aber stoßgedämpft. Mit seinem Sinn für Produktinnovationen ist es Delo zuletzt gelungen, alle fünf Jahre Umsatz und Mitarbeiterzahl zu verdoppeln. Im bereits abgeschlossenen Geschäftsjahr 2014 erwirtschaftete das Unternehmen mit 400 Mitarbeitern Erträge von 59,4 Millionen Euro.

In solchem Tempo ist das Unternehmen noch nicht allzu lange unterwegs. Als Tochter des Dentaltechnikunternehmens Espe sollte Delo ab 1989 versuchen, ein erfolgreiches Prinzip für die Industrie weiterzuentwickeln: Es ging um Klebstoffe, die nach dem Auftragen noch justiert und dann erst mittels Lichthärtung fixiert werden. 1997 strebte Espe an die Börse – Delo passte nicht ins Portfolio. Im Zuge eines Management-Buy-outs übernahmen Wolf-Dietrich und Sabine Herold, damals leitende Angestellte, das Unternehmen komplett.

Erfolgreich: Sabine und Wolf-Dietrich Herold leiten seit 1997 das Unternehmen Delo Industrie Klebstoffe. © DELO

Erfolgreich: Sabine und Wolf-Dietrich Herold leiten seit 1997 das Unternehmen Delo Industrie Klebstoffe. © DELO

Und sie drückten auf die Tube – jenseits der Dentaltechnik: „Wir wussten, dass da ein riesiges Potenzial für andere Branchen drinsteckt“, sagt die Chemie-Ingenieurin, die sich um Engineering, Produktmanagement, Marketing, Vertrieb und Personal kümmert. Ihr Mann wirkt eher hinter den Kulissen – und verantwortet vor allem die Produktion und die immens wichtige Forschung und Entwicklung (F&E). Oft geht es um verschiedene Oberflächen, die sich naturgemäß nicht allzu gerne verbinden – aber dank der Spezialrezeptur wasserdicht vereint werden. Ein Know-how, das vielerorts gefragt ist: etwa im Maschinenbau, in der Luftfahrt oder in der Optoelektronik. Allein die Unterhaltungselektronik macht zurzeit 30 Prozent des Umsatzes aus.

Wir versuchen, andere Felder auszubauen, um unabhängiger zu werden“, sagt die Sabine Herold. Der steigende Einsatz von neuen Materialien wie kohlefaserverstärkte Kunststoffe und Trends zu Leichtbau sowie Miniaturisierung stimmen das Eigentümerehepaar optimistisch. Wo man nicht mehr schrauben oder schweißen kann, kommt Klebstoff ins Spiel. „Wir versuchen, das Gras wachsen zu hören“, beschreibt die 51-Jährige den ersten Schritt in der Produktentwicklung. Dabei hat sich die Firma einen klaren Korridor abgesteckt: Der Weltmarkt für eine bestimmte neue Anwendung von Delo sollte etwa fünf Millionen bis 50 Millionen Euro Potenzial umfassen. „Unser Ziel ist es, in den Nischen mindestens 50 Prozent Marktanteil zu erreichen“, sagt Herold.

Auf den ersten Blick ein ehrgeiziges Ziel. Doch auf dem weltweiten Klebstoffmarkt, der zwischen 50 Milliarden und 60 Milliarden Euro umfasst, ist das ein nur kleiner Tropfen. Von wesentlich größeren Volumina, so spannend die Idee auch klingen mag, lassen die Delo-Manager jedoch von vornherein die Finger. Diesen Wettbewerb überlässt man gerne den Großen der Branche. Gegenüber den anderen will man sich durch die besonders intensive Forschungsleistung abgrenzen.

15 Prozent des Umsatzes für Forschung

Entsprechend hoch ist die Schlagzahl in Sachen Innovation: Fest verankert in den Unternehmenszielen ist die Vorgabe, mindestens 30 Prozent des Umsatzes mit Produkten zu erzielen, die jünger als drei Jahre sind. Die Markttrends erfordern schnelle Reaktionen. In der Unterhaltungselektronik verlangen Kunden manchmal im Halbjahresrhythmus nach neuen Anwendungen – auch die Zulieferer des Klebtropfens müssen das Tempo mitgehen. „Unsere Erwartung ist, dass der Umsatzzuwachs stets mit neuen Produkten erreicht werden kann“, sagt Herold. Dafür investiert Delo viel: Etwa 15 Prozent des Umsatzes fließen in Forschung und Entwicklung.

Diese finden ausschließlich am Standort in Windach statt. „Die Rezepturen sind unsere Kronjuwelen“, sagt Herold. Und entsprechend wie ein Schatz gehütet. Weiter als in die Lobby kommt man als Besucher nicht – von da an bestimmt der Farbcode auf dem Besucherausweis, in welchen Bereichen man sich überhaupt bewegen darf, und auch das stets nur in Begleitung. Mitarbeiter von Fremdfirmen laufen mit leuchtend roten Westen umher. Die Türen der Labore öffnen nur nach außen und ermöglichen nur durch kleine Fenster einen vorsichtigen Blick auf sterile Laborumgebungen.

Ideen im Überfluss

Um die Vorgaben zu halten, experimentieren die gut 50 F&E-Mitarbeiter mit etwa 10.000 einzelnen Zusammensetzungen pro Jahr. „Meist haben wir mehr Ideen, als wir überhaupt realisieren können“, sagt Herold. Am Ende bleiben sechs bis sieben neue Produkte im Jahr übrig, die es in die Produktion schaffen.

Herold kann für jeden Klebstoff in der Pipeline den klar definierten Fahrplan nachverfolgen: In einem dicken Aktenordner ist notiert, welche Kapazitäten die neue Lösung kosten wird, wann mit den ersten Umsätzen zu rechnen ist und wann sich die Investition rechnen soll. Eine komplette Neuentwicklung taxiert die Firmenlenkerin auf drei bis fünf Jahre. „Ich hätte es auch gerne schneller“, sagt Herold und ergänzt: „Manchmal glauben wir an ein Produkt, obwohl es am Anfang vielleicht nicht so gut aussieht.“ In diesen Momenten ist sie besonders froh über die klaren Besitzverhältnisse: „Ohne die Pflicht zu Quartalsberichten ist solch eine Entscheidung leichter zu treffen.“

Entwickelt wird dabei oft zusammen mit einem oder mehreren Pilotkunden. Die Industrie bringt Wünsche ein, Delo sorgt für die Realisierung. Für den Automobilsektor entwickelte Delo vor kurzem einen Klebstoff für Displays in Fahrzeugen. So werden zum Beispiel bei Navigationssystemen die Lichtreflexionen verringert und bei einem Unfall splittern die Glasabdeckung nicht mehr – dafür gab es im Frühjahr den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft. „Die Kunden sind maßgebliche Lenker in eine Richtung“, beschreibt Herold den Prozess. So verlockend die Angebote aus der Industrie jedoch auch sein mögen – die Entwicklung schultert Delo allein. Damit verbleibt die Klebeformel im Betrieb, geschützt vor externen Mitwissern.

AUS DEM ALLGÄU IN DIE WELT

Gegründet wurde das Unternehmen 1961. Als Handelshaus für Industrieklebstoff wurde es Ende der 1980er-Jahre Teil des Dentaltechnikkonzerns Espe. Nach einem Mangement-Buy-out im Jahr 1997 durch die früheren leitenden Angestellten Wolf-Dietrich und Sabine Herold wird das Produktspektrum erweitert. Zur Jahrtausendwende gelingt mit einem Wachstumsschub von 23 Prozent der Sprung über die Umsatzschwelle von 20 Millionen D-Mark. Ab 2004 entstehen Repräsentanzen und Tochtergesellschaften für den Vertrieb im Ausland, zuerst in Schanghai, dann in Singapur und den USA. In jüngster Vergangenheit kamen Südkorea und Malaysia dazu. Produziert wird nur am Standort in Deutschland, der 2007 von Landsberg nach Windach verlegt wurde. An der Firmenanschrift – „Delo-Allee 1“ – ist noch Raum für Erweiterungen – einige angrenzende Flächen sind bereits im Besitz des Unternehmens.

In den Delo-Datenbanken schlummern neben marktreifen Produkten auch viele andere Entwicklungen. Eine Sortierung nach Eigenschaften erleichtert den Start für ein neues Projekt. „Das Schöne ist ja, dass man in die Chemie nicht so einfach reingucken kann“, sagt Herold. Schon mehrfach hätten ihr verschiedene Weltmarktführer den Kampf angesagt. Am Ende trudelte dann in der Regel doch wieder eine Bestellung bei Delo ein.

Noch profitiert der Mittelständler von den kurzen Wegen im Haus. So verschlossen sich das Unternehmen hinsichtlich seiner Rezepturen zeigt, so zugewandt gibt sich die Firmenchefin: Eine große Glaswand trennt ihr Büro vom Flur, die Tür steht häufig offen. Diese interne Transparenz zeigt sich auch in der Produktentwicklung: Key-Account-Manager, Produktmanager und Chemiker sitzen nahe beieinander und diskutieren regelmäßig in Strategiekonferenzen. Das starke Wachstum hat die gelebte Struktur noch nicht gefährdet: „Wir treten nicht auf die Bremse, aber wir sind uns im Klaren, dass es in einem größeren Unternehmen neue Schwierigkeiten geben kann“, sagt Herold. Die Suche nach Fachkräften ist dabei ein Thema. Von 8.500 Bewerbern wurden im vergangenen Jahr 100 Fachleute eingestellt. Einzelne Positionen sind dennoch seit zwei Jahren offen. „Wir möchten Leute haben, die ins Team passen, da sind wir äußerst wählerisch“, sagt Herold. „Zur Not wachsen wir etwas langsamer.“

Jeder neue Mitarbeiter, egal ob Ingenieur, Produktionsmitarbeiter oder Buchhalter, durchläuft im Unternehmen erst einmal einen Klebegrundkurs – mindestens zwei Wochen lang. Im Erdgeschoss der Firmenzentrale ist dafür ein Labor zum Experimentieren eingerichtet. Simple Flugzeugmodelle aus Pappe stehen herum und sehen nach Kinderspielzeug aus. Dabei helfen solche einfachen Experimente, die wichtigsten Mechanismen zu verstehen: Wie reagieren unterschiedliche Klebstoffe und Oberflächen miteinander, was hält nach welcher Zeit – und warum?

Für Überraschung sorgt ein weiterer Test: Zwei kleine transparente Plastikplättchen werden mit einer schmalen Linie Klebstoff befestigt und unter einer LED-Lampe ausgehärtet. Schon nach einer halben Sekunde Belichtung ist dabei die maximale Festigkeit erreicht. Das kann auf sehr bayrische Art überprüft werden: Durch Laschen in den Plastikplättchen werden Kabelbinder geführt – dann wird zum Fingerhakeln geladen. Auch prominente Bundeskabinettsmitglieder wie Ilse Aigner oder Philipp Rösler stellten sich dem Duell. Wer das Kräftemessen gewonnen hat? Chefin Herold bleibt diplomatisch. Sieger war auf jeden Fall der Klebstoff.