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Investor, Berater, Showman: Geht es um die Zukunft des Technologiestandorts Deutschland, ist Frank Thelen nicht weit. Er fordert Unternehmer dazu auf, größer zu denken.

© Stefan Finger/laif

Das prominente Gesicht der deutschen Gründerszene legt die Stirn in Falten und nimmt einen entschlossenen Ausdruck an. „In Zukunft investieren wir nur noch in Moonshots“, sagt Frank Thelen. Gemeint sind Startups, die in ihren Laboren und Programmierstuben potenziell revolutionäre Hightech-Produkte entwickeln.

Fans der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“ müssen sich aber nicht sorgen – die eine oder andere in der Show vorgestellte Biosuppe wird der Investor Frank Thelen weiterhin finanzieren. Zu wichtig sind die Auftritte im reichweitenstarken Programm, das ihn bekannt gemacht hat. Doch mit 43 zieht Frank Thelen eine Zwischenbilanz, veröffentlicht seine Autobiografie und kündigt einen Strategiewechsel an.

Man mag ihm seinen Hang zur Selbstdarstellung ankreiden, doch der mittelständische Selfmade-Unternehmer legt seinen Finger in die Wunde. Deutschland drohe ein ähnliches Schicksal wie Nokia oder Kodak: Die beherrschten ihre Märkte, strotzten vor Kraft und sahen deshalb lange keinen hinreichenden Grund zur Erneuerung – bis der Zug für sie abgefahren war.

Dem deutschen Lebensmittelhandel etwa wirft er vor, dass er „trotz seiner Kapitalstärke bis heute kein funktionierendes, relevantes Onlinegeschäft aufgebaut hat“. Die Ablösung steht bereit. Das niederländische Startup Picnic beispielsweise expandiert mit seinem Onlinesupermarkt in Deutschland und bewältigt die letzte Meile mit selbst entworfenen Elektrolieferwagen. Auch das Berliner Startup Getnow wächst beachtlich.

„Der Start neuer Technologien verläuft oft holprig, und dann verändern sie unser Leben schneller, als man denkt“, warnt Thelen, wo er nur kann.

 

Investor fordert 5G-Ausbau

Er engagiert sich als Gründungsmitglied und Politikberater im Innovation Council von Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU), sitzt im Digitalbeirat von NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) und diskutiert auf zahlreichen Bühnen im Land mit Spitzenpolitikern und Konzernlenkern über die Zukunft des Technologiestandorts Deutschland.

„Ich habe mich sehr für den Ausbau des 5G-Netzes eingesetzt und spreche mit Politikern wie FDP-Chef Christian Lindner oder Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zum Beispiel über das Thema Künstliche Intelligenz – wie sehr diese in den nächsten zehn Jahren unser Leben verändern wird und wie weit Europa im Vergleich zu China technologisch bereits abgeschlagen ist“, berichtet der redegewandte Netzwerker.

Die drei Milliarden Euro, mit denen die Regierung bis 2025 die Entwicklung von KI fördern will, seien ein Tropfen auf den heißen Stein. Thelen wirft der Politik vor, den Status quo zu verwalten und, wie im Falle des Datenschutzes, immer neue Regeln zu entwickeln, die dem Standort im internationalen Wettbewerb schadeten, statt investitionsfreundlichere Rahmenbedingungen für Wagniskapitalgeber zu befördern.

Im Büro des 43-Jährigen hängt ein Porträtfoto von Steve Jobs. „Eine Villa und ein dickes Auto habe ich schon, ich bin finanziell unabhängig.“ Größerer Reichtum interessiere ihn aus anderen Gründen, beteuert Thelen. „Ich brauche Geld, damit ich auch mal 100 Millionen Euro in ein Zukunftsprojekt investieren kann und nicht nur ein bis zwei.“

 

3D-Druck, Blockchain, KI: Thelen jagt das deutsche Einhorn

3D-Druck, Roboter, Blockchain, Quantencomputer, Künstliche Intelligenz – das sind die Themenfelder, die Thelen auf der Jagd nach einem deutschen Einhorn beackern will. „Unsere neue Zehn-Jahres-Strategie lautet: Wir wollen ambitionierte Projekte unterstützen, bei denen die Leute erstmal denken: Ihr habt doch einen Knall!“

Ihr, das sind neben Frank Thelen die vier Mitgründer seines Investmentunternehmens Freigeist Capital mit Sitz in Bonn. Durch das Fenster hinter seinem Schreibtisch blickt er auf die benachbarte Zentrale der Telekom. „Mit Tim Höttges bin ich eng befreundet“, sagt Thelen.

Dabei passt es gar nicht so recht zu seinem korrekt gescheitelten Auftreten, dass er als Jugendlicher Skater war und wegen schlechter Noten vom Gymnasium flog. Doch die Story ist gut. In seinem Büro liegen ein paar Skateboards herum und erinnern daran. Erst auf der Realschule erhält er Informatikunterricht und entwickelt seine Leidenschaft fürs Programmieren.

 

Krachende Pleite im Zuge der Dotcom-Blase

Mit 18 gründet er sein erstes Unternehmen zur Herstellung von CD-Roms. 1997 erhält der 22-Jährige 1,4 Millionen Mark Wagniskapital, um einen Linux-basierten Router zu entwickeln. Zwei Jahre später bereitet er seine Twisd AG auf den Börsengang vor und leiht sich dafür nochmal zwei Millionen Mark von der Sparkasse, legt aber im Zuge der Dotcom-Blase eine krachende Pleite hin.

Thelen hat Millionenschulden und zieht wieder bei seinen Eltern ein. 2004 berappelt sich der Bonner und gründet die Onlinefotoservice-Plattform IP.Labs. Fujifilm kauft das erfolgreiche digitale Fotobuch 2008 und macht Thelen mit 32 Jahren zum Millionär. Mit den Mitstreitern in der Firma, Marc Sieberger und Alex Koch, gründet Thelen den Frühphasen-Investor E42 und schließlich 2017 Freigeist Capital.

Die Verkäufe der Apps Wunderlist an Microsoft und Mytaxi an Daimler sowie der Prospektplattform Kaufda an Axel Springer kann Thelen als Erfolge verbuchen. Doch von den Verkaufspreisen bleiben ihm nur relativ kleine Anteile. „Wir halten im Schnitt 15 bis 20 Prozent an den Unternehmen“, erzählt Thelen. „Die Anteile verwässern, sobald das Start-up externes Kapital aufnimmt.“ Das wurmt ihn, er will mehr.

 

Von Floerke Streit kratzt an Thelens Image

Ob das mit den TV-vermittelten und techfremden Investments aus der „Höhle der Löwen“ gelingt? Zuletzt hatte Thelen mit den Deals kein Glück. Durch einen Streit mit David Schirrmacher, an dessen Herrenmodemarke Von Floerke Thelen beteiligt war, geriet er stark in die Kritik.

Der Modeunternehmer fühlte sich von seinem Investor im Stich gelassen und tat dies auch laut und nicht immer salonfähig in sozialen Netzwerken kund. Am Ende verkaufte Thelen seine Anteile für einen symbolischen Euro. Er bangte um sein Image.

Viel lieber eckt er mit seinen unbescheiden formulierten Ambitionen an. Etwa wenn er unermüdlich die mangelnde Chuzpe der „Bedenkenträger“ in Deutschland kritisiert. „Vorausschauend und mit Risiko in die technischen Möglichkeiten zu investieren, das ist nicht Teil der DNA von deutschen Unternehmen“, sagt er.

Die traditionellen Konzerne seien von Quartalsergebnissen getrieben und das habe auch viele Jahrzehnte lang gut funktioniert. „Doch jetzt arbeiten Unternehmen wie Amazon, Apple, Alibaba, Tesla oder Tencent die gewohnten Gesetzmäßigkeiten um.“

In Australien etwa hat Google kürzlich die Lizenz erhalten, unter Auflagen Waren per Drohne liefern zu dürfen. Die Deutsche Post DHL indes scheut den Höhenflug und betrachtet ihren Parcelcopter als reines Entwicklungsprojekt für die Schublade. Der Praxiseinsatz ist nicht geplant, man wartet ab.

 

Wagniskapital für Flugtaxis

Frank Thelen träumt derweil vom fliegenden Auto. Vor drei Jahren hat er als erster Wagniskapitalgeber in das Münchner Start-up Lilium investiert, das einen elektrisch betriebenen Jet entwickelt, der vertikal startet und landet wie ein Hubschrauber. Das Investment in das Flugtaxi, das ab 2025 per App-Anforderung zum Passagier schweben soll, war das bis dahin größte und riskanteste von Freigeist Capital.

Inzwischen gründet der potenzielle Moonshot Lilium auf einer Kapitalbasis in Höhe von rund 100 Millionen Euro; auch der chinesische Internetgigant Tencent setzt auf die bayerische Ingenieurskunst. Thelens Kunst indes drückt sich darin aus, dass er Lilium nicht nur die geldwerten Kontakte verschafft, sondern CEO Daniel Wiegand auch gleich in Dorothee Bärs und seinem Innovation Council installiert hat.

Dort sitzt Wiegand unter anderem neben Zoe Adamovicz, Gründerin der Blockchain-Plattform Neufund, einer weiteren Freigeist-Investition.

Frank Thelen glaubt an die Idee – und vergleicht sich gerne mit anderen Visionären. Auch Tesla-Gründer Elon Musk hätten „alle für verrückt erklärt“, als er seine erste Gigafactory baute, um künftig eine wichtige Rolle auf dem von asiatischen Firmen dominierten Batteriemarkt für die E-Mobilität zu spielen.

Das Ergebnis: Bei der Reichweite ist Tesla inzwischen führend. Und nicht nur dabei. Musk sammele seit Jahren auch riesige Datenmengen von seinen Kunden. „Wir können diesen technologischen Vorsprung nicht mehr aufholen“, sagt Tesla-Fahrer Thelen – und fügt in typischer Manier an: „Das sage ich auch Susanne Klatten persönlich.“

 

Zur Person

Frank Thelen, 43, ist seit 25 Jahren im Geschäft. Mit 18 Jahren gründet er seine erste Firma. Mit 22 die zweite, die Techfirma Twisd AG. Sie geht pleite, mit 25 hat Thelen Millionenschulden. 2004 hebt er IP.Labs aus der Taufe und verkauft den Marktführer für Onlinefotoservices 2008 erfolgreich an Fujifilm. Beim Verkauf hielt das Management 100 Prozent der Unternehmensanteile. Thelen gründet den Frühphasen-Investor E42 und die Dokumentenscanner-App Scanbot und investiert ab 2010 in weitere Startups wie Wunderlist (heute Microsoft), Mytaxi (heute Daimler) und Kaufda (heute Axel Springer). Seit 2014 tritt Thelen regelmäßig in der Gründer-Show „Die Höhle der Löwen“ (Vox) auf, seit 2017 firmiert er als Gründer und CEO des Wagniskapitalgebers Freigeist Capital. All das ist en détail nachzulesen in seiner Autobiografie mit dem unbescheidenen Titel: „Startup-DNA – Hinfallen, Aufstehen, die Welt verändern“.