Frauen sind in den Chefetagen noch immer unterrepräsentiert. Sie verdienen weniger und machen seltener Karriere. Doch die Zukunft der Arbeit ist weiblich, davon ist Christiane Funken überzeugt. Die Soziologin leitet das Fachgebiet Medien- und Geschlechtersoziologie an der TU Berlin und ist Autorin des Buchs „Sheconomy“.
Frau Funken, welches Klischee über Frauen stört Sie am meisten?
Christiane Funken: Es wird immer noch häufig gesagt: Frauen sind für die Arbeitswelt zu emotional. Sie seien nicht sachlich. Zu Beginn der Industriegesellschaft hatte die sogenannte Emotionalität der Frau tatsächlich keinen Platz. Damals war alles streng durchrationalisiert. Gegenwärtig aber wandelt sich die Arbeitswelt von der Industriewirtschaft hin zu einer Wissensökonomie. Hier sind Kommunikation, Kooperation, Empathie oder auch psychologisches Gespür gefragt – all die Eigenschaften, die Frauen früher negativ ausgelegt wurden, tauchen jetzt unter dem Begriff Soft Skills als Schlüsselqualifikationen auf.
Und darum ist die Arbeitswelt der Zukunft weiblich?
Funken: Wir beobachten in vielen Unternehmen einen Abbau oder Umbau von Hierarchien. Wissensarbeit nimmt immer mehr zu, Flexibilität und Innovation gewinnen an Bedeutung, auch arbeiten die Beschäftigten zunehmend in interdisziplinären Teams zusammen. Wenn man so ein Team leiten will, kommt man mit den alten Führungsqualitäten – Trennung von Hand- und Kopfarbeit, strenge Kontrolle, Kultur der Fehlerfreiheit – nicht mehr weiter. Vielmehr braucht es starke Führungspersönlichkeiten, die empathisch sind, die integrieren, die konfliktlösungsfähig und hochflexibel sind. Und das sind Eigenschaften, die üblicherweise eher Frauen mitbringen, und zwar aufgrund ihrer Erziehung und konkreten Lebenssituation. Männer können all das natürlich auch erlernen. Wir sollten uns ohnehin vor den Geschlechterklischees hüten. Menschen sind individuell.
Führung bedeutet Macht, etwas, das Frauen oft als negativ wahrnehmen. Wie kann man ihnen die Hemmungen nehmen?
Funken: Indem man ihnen klarmacht, dass Machterlangung und Machterhalt nicht unbedingt mit den Strategien verfolgt werden müssen, die wir in Unternehmen häufig beobachten. Dort bekämpfen sich die Konkurrenten oft mit unschönen Mitteln und gehen abends mit all ihren blauen Flecken noch gemeinsam ein Bier trinken. Weil sie sich gegenseitig brauchen. Viele Frauen lehnen diese Mikropolitik ab. Von der Philosophin Hannah Arendt stammt das Prinzip der Gestaltung, bei dem es darum geht, gemeinsam Konzepte und Ideen zu entwickeln und Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist eine Form von Macht, mit der viele Frauen besser klarkommen. Aber dieses extrem Kämpferische ist nicht ihre Mentalität. Das kennen wir übrigens auch aus dem Freizeitverhalten. Jungen betreiben Mannschaftssport. Ihnen kann es passieren, dass ihr bester Freund plötzlich ihr Gegner ist. Er bleibt aber trotzdem ihr bester Freund. Das sind Erfahrungen, die Mädchen in der Regel so nicht machen. Sie lernen seltener, dass Konkurrenz nicht unbedingt Verrat bedeuten muss.
Freundschaften oder zumindest Netzwerke sind erwiesenermaßen ein Karriereturbo. Frauen müssten mit all ihren empathischen und sozialen Qualitäten doch eigentlich die besseren Networker sein. Studien widerlegen das.
Funken: Frauen haben sehr oft Netzwerke auf Augenhöhe, auch weil sie noch gar nicht so viele Kontakte bis nach ganz oben haben. Männer haben Netzwerke, die durch die ganze Hierarchie gehen. Das sind Abhängigkeitssysteme. Wenn der Chef sagt, der da unten wird gefördert, dann wird er gefördert. Der zweite Grund: Viele Frauen verwechseln die Kollegin mit einer Freundin. Das ist ein Fehler, den Männer nicht machen. Männer gehen in ein Netzwerk, um es für ihre Karriere zu nutzen. Eine Frau zögert mit Empfehlungen, weil sie denkt: „Wenn das in die Hose geht, ist es meine Schuld.“ Oder: „Ich kann mich doch nicht auf die gleiche Stelle bewerben wie meine Freundin.“ Das ist falsch.
Was können Chefs oder Chefinnen tun, um Mitarbeiterinnen zu fördern?
Funken: Die unmittelbaren Vorgesetzten sind die wichtigste Instanz. Denn sie sind diejenigen, welche die Potenziale ihrer Mitarbeiterinnen erkennen und für das Unternehmen fruchtbar machen. Das passiert in den traditionellen Unternehmen jedoch viel zu wenig. Im Rahmen einer Studie haben mir viele Angestellte gesagt: Der Arbeitgeber will ja, dass wir innovativ sind. Er will, dass wir kreativ sind. Aber wenn wir dann Ideen auf den Tisch legen, werden sie direkt abgebügelt mit dem Hinweis, man habe das noch nie so gemacht oder man bekomme es nicht gestemmt mit den Strukturen oder man müsse erst mal durch fünf Gremien damit. Prinzipiell sind auch Homeoffice-Möglichkeiten sehr sinnvoll. Wenn man den eigenen Mitarbeiterinnen nicht vertraut, dann ist das eine Frage der Haltung. Und es ist auch strategisch nicht klug. Die Unternehmen müssen begreifen, dass viele Beschäftigte heute mit einem Bein draußen sind. Die wissen genau, welche Stellen der Arbeitsmarkt gerade für sie bereithält und dass er immer durchlässiger wird.
Und was halten Sie speziell von Frauennetzwerken?
Funken: Ich würde jeder Frau raten, sich gut zu vernetzen und auch in Frauennetzwerke zu gehen. Die haben einen großen Vorteil: Sie können entindividualisieren. Das bedeutet: Die Frauen treffen dort auf andere Frauen, die exakt die gleichen Probleme haben wie sie selbst. So merken sie, dass nicht sie selbst das Problem sind, sondern dass die Struktur das Problem ist. Das ist ganz wichtig, denn es schafft Selbstbewusstsein. Und es entlastet. Außerdem können Frauen gemeinsam darüber nachdenken, wie sie mit ihrer Situation umgehen. Es gibt aber noch ein ganz anderes Problem: Netzwerken ist etwas, was man gemeinhin außerhalb der Arbeitszeit macht. Frauen, die junge Mütter sind, haben kaum Zeit dafür. Da muss dann auch der Partner mitspielen.
Apropos Familie. Frauen bekommen immer später Kinder, wenn überhaupt. Wäre es da nicht sinnvoller, die Familienplanung vor die Karriere zu verlegen?
Funken: Gegenfrage: Warum müssen die Frauen das entscheiden? Frauen und Männer wollen mittlerweile das Gleiche, die Lebensziele haben sich längst angeglichen. Sie wollen Privates und Berufliches miteinander verbinden, mobil sein im Beruf, Karriere machen, inhaltlich und nachhaltig arbeiten, Kinder kriegen. Wir wissen: Männer wollen weniger arbeiten, Frauen wollen mehr arbeiten. Aber sobald das erste Kind kommt, entscheiden sich viele gegen ihre Überzeugung, weil der Mann bessere Karrierechancen hat. Und wenn die Frau dann in Teilzeit geht, sind sehr schnell die traditionellen Strukturen da. Das ist ein großes Problem, weil beide damit unzufrieden sind. Deswegen ist die Forderung nach einer Umverteilung der Arbeit, zum Beispiel die 28-Stunden-Woche der IG Metall, durchaus richtig.
Was erwarten Sie noch von der Politik?
Funken: Das Recht auf eine Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit ist immer noch nicht gesetzlich verankert. Auch die Kita-Frage ist extrem wichtig. Die haben wir noch überhaupt nicht gelöst, gerade in ländlichen Regionen. Da muss die Politik viel mehr Geld investieren und auch die Erzieherinnen besser bezahlen.
Welches Erfolgsrezept haben Sie bei Ihrer eigenen Karriere verfolgt?
Funken: Ich habe immer sehr leidenschaftlich gearbeitet und die Themen behandelt, an denen ich Interesse hatte. Und ich war flexibel. Ich habe nicht gesagt, ich will bis dann das und das erreichen, sondern habe immer von Situation zu Situation entschieden und Chancen genutzt, die sich geboten haben. Dazu gehört auch, mal zwei Jahre einen Schritt zur Seite zu machen und erst dann wieder einen nach vorne. Ich wollte Bewegung, Flexibilität und Karriere, aber der Weg war mir egal. Viele „Karrieristen“ sind sehr stark auf ihren Plan fixiert. Das war ich nicht.
Zur Person
Christiane Funken, Jahrgang 1953, leitet das Fachgebiet Kommunikations- und Mediensoziologie, Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. Sie befasst sich insbesondere mit Kommunikations- und Mediensoziologie, Organisationssoziologie, Geschlechterforschung sowie Wissenschafts- und Technikforschung. Funken ist Autorin mehrerer Sachbücher. Zuletzt erschien im Jahr 2016 „Sheconomy – Warum die Zukunft der Arbeit weiblich ist“.