Wenn mehr als ein Viertel aller Azubis ihre Lehre abbrechen, stimmt etwas nicht im System: Betriebe müssen ihre Ausbildungsqualität überdenken.

© Philipp Reinhard
Was mit der Installation einer Steckdose begann, hört mit dem Bau einer Lötstation noch lange nicht auf. Denn Inka Ballbach beendet im Sommer gerade das erste von drei Lehrjahren. Die 20-Jährige will Elektronikerin werden. In der Ausbildungswerkstatt des Ventilatoren- und Motorenherstellers EBM-Papst im fränkischen Mulfingen entwerfen sie und ihre fünf Azubi-Kollegen Schaltpläne für Blinklichter und ätzen sogar die Platinen selbst. Ballbach ist guter Dinge: „Ich hatte ein Bild von der Berufsausbildung im Kopf und das bestätigt sich.“ Die Ausbildung abzubrechen, kommt ihr nicht in den Sinn. Doch längst nicht alle Auszubildenden in Deutschland gefällt es so gut wie Inka Ballbach. Ein Viertel bricht die Lehre ab, so der Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) 2018
Wer in die Berufsausbildung startet, erfährt schnell, ob seine Fantasie den Realitätscheck besteht. Das scheint in Verwaltungen und technischen Sparten deutlich häufiger der Fall zu sein als im Dienstleistungssektor. Besonders Security und Gastronomie können ihre Azubis nicht halten. Der BIBB-Datenreport listet die Ausbildungsberufe auf, in denen im Durchschnitt der vergangenen vier Jahre besonders häufig Ausbildungsverträge gelöst wurden: Mit einer Quote von 50,7 Prozent geben mehr als die Hälfte der Fachkräfte für Schutz und Sicherheit auf. Auch bei den Restaurantfachleuten beenden 50,6 Prozent die Ausbildung vorzeitig. Rund um den Genuss zieht sich der Verzicht auf den Berufsabschluss durch – Köche brechen zu 48,6 Prozent ab, Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk zu 44,2 Prozent und Fachkräfte im Gastgewerbe zu 43,4 Prozent.
Es wäre zu einfach, bei Abbrüchen nur auf das Versagen der Auszubildenden zu schauen und über die schlechte schulische Vorbildung zu klagen. Zwar gibt es sie, die jungen Menschen, die bei der Wahl ihres Ausbildungsberufs total danebenliegen. Schulabgänger etwa, die etwas Praktisches lernen wollen und dann doch feststellen müssen, dass sie für die Arbeit in der Küche, wo sie den ganzen Tag stehen und gehen müssen, körperlich nicht fit genug sind. Oder Auszubildende, die glauben, dass ihnen die Uniform beim Sicherheitscheck am Flughafen Macht verleiht – und dann schnell lernen müssen, dass sie zuvorkommende Dienstleister werden sollen. Oder, etwas seltener, auch die Jugendlichen, die unterschätzt haben, wie präzise ein Industriemechaniker feilen und fräsen muss.
Der Wohlfühlfaktor muss stimmen
Doch wenn Arbeitgeber ihre Auszubildenden zum Durchhalten motivieren wollen, müssen sie vor allem an der Ausbildungsqualität arbeiten. Die spielt nämlich eine erhebliche Rolle, wenn junge Menschen die Lust verlieren. Bei EBM-Papst laufe sie nicht ahnungslos mit den Gesellen mit und müsse Sachen bearbeiten, die sie noch gar nicht kann, wie sie es von Gleichaltrigen aus anderen Firmen höre, sagt Ballbach. Sie lernt die Grundlagen im geschützten Raum unter ihresgleichen. Die Ausbilder machen klare Ansagen, greifen durch, aber die Azubis bei Fehlern nicht an. Vor Klausuren in der Berufsschule steht die Nachwuchstruppe an der Tafel und der Ausbilder füllt die Lücken, die im Unterricht offensichtlich wurden.
Solch eine Rundumbetreuung können kleinere Unternehmen natürlich nicht bieten. Aber auch wenn die Auszubildenden ab dem ersten Tag ranmüssen ans reale Geschehen, wenn Installateure in spe mit einem Gesellen zum Kunden fahren oder Kfz-Mechatroniker in der Werkstatt gleich Motoren-Software testen, kommt es auf den richtigen Ton an.
Denn Azubis bleiben, wenn die Rahmenbedingungen im Betrieb stimmen. Das BIBB befragte 2016 rund 2.000 Jugendliche, die sich auf Ausbildungsstellen bewarben, nach ihren Wünschen: Auf einer Skala von 0 bis 100 stand ein gutes Betriebsklima mit 93 Punkten ganz oben – noch vor der Arbeitsplatzsicherheit mit 90,1 und den Übernahmechancen mit 85,8 Punkten (weitere Wünsche siehe unten). Auch die Azubi-Recruiting Trends 2017 der Solinger U-Form-Gruppe, einem Fachverlag für Eignungstests in der Ausbildung und Recruiting, bestätigen bei mehr als 2.500 befragten Auszubildenden und Bewerbern, wie wichtig der Wohlfühlfaktor ist: 53 Prozent würden einen Ausbildungsplatz trotz unterschriebenen Vertrags nicht antreten, wenn sie eine Alternative hätten, „wo man freundlicher zu mir war“. Nur 17 Prozent sagen „Ich stehe zu meinem Wort“ und würden ihren Vertrag unter keinen Umständen auflösen. Ob sie tatsächlich durchhalten, hängt vom Betrieb ab – vor allem von den unmittelbaren Ausbildern.
Dauerzwiebelschneiden ist tabu
Philip Jaeger, Küchenchef in der Bavarie, einem Restaurant von Feinkost Käfer in der BMW Welt in München, hat seine eigenen Erfahrungen im Hinterkopf, wenn er Köche und Auszubildende einsetzt. „Bei meinen Jahren in der Sterneküche habe ich auch gelernt, wie man eine Küche nicht führt, selbst wenn die Ergebnisse kulinarisch hochwertig sein müssen“, sagt der 29-Jährige, der seit zwölf Jahren im Beruf ist. „Wir leben mit den Azubis drei Jahre zusammen, da müssen wir manierlich miteinander umgehen.“
Sich anzurempeln, das könne im Eifer des Küchengefechts passieren, aber sich zu entschuldigen, gehört für Jaeger genauso dazu. Er übergibt seinen drei Kochazubis frühzeitig Verantwortung. Mit einem Profikoch an ihrer Seite müssen die Neulinge schon nach ein paar Tagen kalte Vorspeisen und Desserts anrichten. „Ich bin kein Freund vom Dauerzwiebelschneiden“, betont der Küchenchef. Bis zum Filetieren von Fischen dauert es zwar etliche Monate, aber schon am ersten Tag überreicht Feinkost Käfer allen Kochauszubildenden eine Tasche, in der die wichtigsten Küchenmesser stecken. „Die dürfen sie behalten, wenn sie die Probezeit geschafft haben“, so Ausbilder Philip Jaeger.
Bei einem Genuss-Filialisten wie Käfer mit 80 Auszubildenden, von der Einzelhandelskauffrau über die Fachkraft zur Lagerlogistik bis zum Konditor mit übertariflicher Bezahlung, geht es zwar großzügiger zu als in kleineren Betrieben. Denn Events wie eine mehrtägige Reise nach Paris, wo sich die Azubis auf dem Rungis-Großmarkt sattsehen und luxuriöse Lebensmittel wie Eclairs beim Edelbäcker testen, kann sich ein Kleinunternehmer kaum leisten. Doch jeder Chef kann seinen Azubi freistellen – auch für eine Station im Ausland: Erasmus+ bezuschusst Reise, Unterkunft und Verpflegung und hilft bei der Organisation.
Zu Top-Leistungen motivieren
Solche i-Tüpfelchen machen brüllende Chefs, eine gute Erreichbarkeit des Ausbildungsplatzes oder eine Fahrtkostenpauschale nicht wett. Zusätzlich zur guten Lernatmosphäre motivieren sie aber zu Top-Leistungen. Alle Betriebe, die nur ein oder zwei junge Menschen gleichzeitig ausbilden, sollten den Service überbetrieblicher Einrichtungen nutzen. Die Berufsbildungszentren der Handwerkskammern bieten neben verpflichtenden Ausbildungsteilen auch Kurse zur Prüfungsvorbereitung – und das Lernen mit anderen. Ob jemand aber wirklich richtig im Beruf ist und nicht erst nach ein paar Monaten in der Werkstatt oder unterwegs beim Kunden merkt, dass der Job ihm doch nicht liegt, können Unternehmer mit etwas Engagement sehr schnell herausfinden. Schnuppertage, Praktika oder auch kleine Aushilfsjobs noch vor der eigentlichen Bewerbung bringen Ausbilder und Auszubildende zusammen.
Vincent Weber zum Beispiel arbeitete im Weihnachtsgeschäft in der Käfer-Schänke in München und macht seit Februar eine Ausbildung zum Restaurantfachmann in diesem Gourmetrestaurant des Feinkost-Stammhauses. Tische eindecken, Brot bringen, Wasser einschenken durfte er schon – und auch die Gäste ansprechen, wenn er die Speisekarte bringt. „Mir ist wichtig, dass ich randarf“, sagt der 19-Jährige. „Jeder Kollege zeigt mir, wie er es macht, und gibt sich Mühe.“ Weber pendelt vom Elternhaus in Holzkirchen nach München – und hat nach dem Dienst noch nie eine S-Bahn verpasst, weil die Ausbilder Rücksicht nehmen.
Rücksicht, auch so ein altmodisches Wort für den Umgang, den sich junge Leute wünschen. EBM-Papst-Ausbildungsleiter Bernd Ludwig setzt nicht nur auf die handwerklichen Fähigkeiten seiner Azubis. „Die jungen Menschen lernen bei uns auch, dass Grüßen weiterhilft“, sagt er verschmitzt und fügt zum Thema Pünktlichkeit ernster an: „Wir weisen schon darauf hin, dass die Ausbildungsvergütung auch von Kollegen erarbeitet wird, die um punkt fünf Uhr früh zur Schicht erscheinen.“
Respekt im Umgang
Die rund 230 gewerblichen und kaufmännischen Auszubildenden lassen sich belehren, ohne zu nörgeln, weil sie gleichzeitig Respekt im Umgang und spannende Events erleben: als Energiescout Sparpotenzial im Betrieb entdecken, im Hochseilgarten herumturnen, mit den Kollegen Fußball spielen oder bei „Jugend forscht“ dabei sein, das sind Angebote, die in die Freizeit ragen. „Wir wollen die Selbstständigkeit stärken“, so Ludwig. „Die Auszubildenden sollen alle Facetten ihrer Persönlichkeit ausprobieren können.“ Zum Beispiel beim Austausch mit den Landshuter Auszubildenden, da streunen die jungen Leute durch alle Werkshallen und lernen Ecken kennen, wo selbst ihre Ausbilder noch nicht waren.
Auch Selbstständigkeit wird großgeschrieben, das kommt gut an. Inka Ballbach etwa wirbt für ihre Ausbildung. Sie hilft Schülern und Schülerinnen dabei, mit einer guten Bewerbung auch in den Wunschberuf zu starten: im Azubi-Projekt Bewerbertraining. Zu viert gehen die EBM-Papst-Auszubildenden in Schulen, zeigen ihre selbstgemachte Präsentation „Wie bewerbe ich mich richtig?“, üben ganz konkret, wie man ein paar Worte über sich sagt und nehmen die Schüler einen Tag mit in die Lehrwerkstatt. „Da passt einfach die Augenhöhe“, kommentiert Ausbilder Ludwig. Er ist damit nahe bei den Antworten für die Azubi-Recruiting Trends 2018. Denn junge Leute wollen „keine Beschönigung vom Ausbildungsverlauf in vorherigen Erzählungen“, so Ludwig. „Wenn man einfach gut mit seinen Azubis umgeht, ist das besser als jede Kampagne.“
So halten Unternehmen ihre Azubis bei der Stange
Freundlich-respektvoller Umgang ist ein Muss. Cholerische Meister und böse-ironische Ausbilder gehören der Vergangenheit an.
Auszubildende suchen Sicherheit. Koppeln Sie die Übernahme an Leistung und Verhalten, bleiben Sie im Gespräch und bieten Sie Unterstützung an.
Junge Leute bleiben oft bei den Eltern wohnen. Azubis wollen den Betrieb gut mit dem ÖPNV erreichen. Ein Fahrtkostenzuschuss oder ein Jobticket helfen.
Azubis wollen stolz sein auf ihren Ausbildungsbetrieb. Ein gutes Image gehört dazu.
Museumsreife Maschinen kommen schlecht an. Spannen Sie Ihre Azubis für die Modernisierung ein.
Unbezahlte Überstunden sind ein No-Go. Zeigen Sie, dass sich Leistung lohnt.
Ausbildung ist wichtig, aber nicht alles im Leben. Junge Menschen wollen Freizeit. Gestalten Sie den Übergang – mit betrieblich gefördertem Sport, mit Ausflügen oder einer berufsnahen AG.