Reisen birgt Risiken. Aber Arbeitgeber können vorbeugen, auch wenn Epidemien und Naturkatastrophen, politische Unruhen und terroristische Attentate nicht komplett kalkulierbar sind. Text: Ruth Lemmer
Ein Erdbeben der Stärke 7,8 verwüstete im April 2016 Teile von Ecuador. Der Hurrikan Matthew zerstörte im Oktober mit 230 Stundenkilometern die Südküste Haitis. Die Tsunami-Warnung im japanischen Fukushima weckte im November Erinnerungen an die Katastrophe vor fünf Jahren, richtete aber mit einer Flutwellenhöhe von 1,40 Meter geringe Schäden an.
Dennoch waren Erdbebenstöße bis 7,4 auf der Richterskala in der Region Tokio messbar. Über Naturereignisse und -katastrophen wird in deutschen Medien intensiv berichtet. Unternehmer, deren Mitarbeiter auf Dienstreisen in den betroffenen Gebieten in Niederlassungen, bei Kunden oder auf Baustellen arbeiten, können sofort Kontakt zu ihnen aufnehmen – sofern Telefon oder Internet funktionieren.
Doch 2016 war es gar nicht die Natur, die Aufregungen verursachte und Sorge um Mitarbeiter im Ausland auslöste. Es waren Terroranschläge. In Europa und im fernen Ausland, in eigentlich politisch ruhigen Staaten wie Frankreich, Russland und Belgien sowie in Krisenregionen wie Afghanistan und Iran kam es immer wieder zu Attentaten mit Sprengstoff oder – wie zum Jahreswechsel in Istanbul – mit Schusswaffen, bei denen zahlreiche Opfer zu beklagen waren. Beides – Naturkatastrophen und Terroranschläge – sind unvorhersehbar. Dennoch können verantwortungsbewusste Arbeitgeber ihre Mitarbeiter, die einmalig oder wiederholt auf Dienstreisen im Ausland unterwegs sind, auf alle Eventualitäten vorbereiten.
Dabei geht es nicht um übertriebene Vorsicht, sondern darum klarzustellen, an wen sich Mitarbeiter in welchen Fällen wenden müssen. Deshalb sollte im Unternehmen selbst ein Ansprechpartner festgelegt werden. Außerdem sollte der Mitarbeiter im Notfall alle wichtigen Dokumente und Informationen griffbereit haben. Daher empfehlen sich Kopien und ausgedruckte Infos (siehe Packliste am Ende des Artikels) – damit etwa die Adresse der Botschaft auch dann vorliegt, wenn das Internet ausfällt. Sie sollten an anderer Stelle als die Originale aufbewahrt werden, denn sie helfen bei Diebstahl oder Schusseligkeit, sich auszuweisen, Ersatzdokumente zu beschaffen – und die Kreditkarte sperren zu lassen.
»Wir sprechen individuelle Lösungen wie alternative Routen oder Transportmittel telefonisch ab.«
Ulrich Klein, BJB
Auf Notfälle im Ausland muss nicht unbedingt der Arbeitgeber selbst seine Mitarbeiter vorbereiten. Kleine mittelständische Unternehmen fahren mit Dienstleistern gut. Wie die HCR – Heinrich Cremer GmbH in Mönchengladbach, die auf Maschinenschutz spezialisiert ist. Die 100 Mitarbeiter konstruieren, produzieren, transportieren und montieren Verkleidungen für Dreh- oder Werkzeugmaschinen und gegen Lärm weltweit. Die Monteure sind regelmäßig mit dem Auto in der Schweiz und in Österreich unterwegs oder mit Flieger in Italien, den USA und China. Der Montageleiter will und soll sich um seine Baustellen kümmern, nicht darum, ob Pilotenstreiks oder eine Grippewelle die Mitarbeiter von der Arbeit oder von der Heimkehr abhalten. Schon seit 1991 lässt das Familienunternehmen deshalb alle Montagereisen von Flugcontact organisieren. Reisebüro-Geschäftsführer Marcus Dickmann: „Die niedrige Kundennummer von HCR zeigt, dass die Firma zu den ersten 50 Kunden gehörte.“ Dickmann kennt also die Besonderheiten des Familienunternehmens und seiner Monteure genau.
Die Reisen werden bei HCR zwar frühzeitig geplant, aber bei 70 Dienstreisen im Jahr muss in rund 80 Prozent der Fälle umgebucht werden. „Die Montagen verschieben sich häufig, weil die Vorarbeiten auf der Baustelle nicht fertig sind“, sagt Christopher Cremer, kaufmännischer Geschäftsführer von HCR. Dann muss ein Monteur mit einem 30-Tage-Visum in China schon mal ein Wochenende in Korea oder Thailand verbringen, um anschließend wieder für 30 Tage arbeiten zu dürfen. Ohnehin haben die meisten Monteure ständig zwei Reisepässe, damit sie ungehindert mit dem einen in den Iran und mit dem anderen in Israel einreisen dürfen.
Auch bei Erkrankungen der Mitarbeiter im Ausland ist das Reisebüro der erste Ansprechpartner. Ob Muskelentzündung oder Beinbruch, die Rückreise braucht keine Extras. „So lange Platz im Flieger, der Kranke transportfähig und es für die Mitreisenden zumutbar ist, nimmt die Fluggesellschaft die Passagiere mit“, nennt Reisefachmann Dickmann die Kriterien – und HCR ist damit bisher gut geflogen.
Anders ist die Situation bei schweren Verletzungen oder im Todesfall. Dann wird ein Rücktransport unter besonderen Spielregeln nötig. Die hängen von den abgeschlossenen Versicherungen ab und werden am besten in den Reiserichtlinien bekannt gemacht. Denn auch wenn solche Extremsituationen selten eintreten, haben Mitarbeiter und ihre Familien genau dann nicht die Nerven nach den Regeln zu suchen.
Die DVR-Studie „Chefsache Business Travel 2016“ ergab, dass sich jeder zweite beruflich Reisende alleingelassen fühlt, wenn wirklich einmal etwas passiert. Ein Drittel der befragten Geschäftsführer und leitenden Angestellten geriet schon einmal in Not – mal verschwanden Dokumente, mal waren sie in einen Unfall verwickelt oder gerieten in politische Unruhen.
Haben Unternehmen Werke in Erdbeben- oder politischen Krisengebieten, in denen Mitarbeiter aus Deutschland immer wieder arbeiten, kann sich Traveller Tracking lohnen: Reisende werden in Notfällen lokalisiert und Rückholaktionen koordiniert. 2016 hielten 67 Prozent der vom Deutschen Reiseverband DVR befragten Geschäftsführer und leitenden Angestellten Traveller Tracking für wichtig – eine sinkende Zahl. Ob gepanzerte Fahrzeuge sinnvoll oder übertrieben sind, hängt von der Anschlags- und Entführungsintensität in der Region ab. Auch Lösegeldversicherungen scheinen eher etwas für Großunternehmen und Medienhäuser zu sein. Für Mittelständler, die ihre Mitarbeiter nicht gerade in Krisenherde schicken, reichen die gängigen Pakete, die Erkrankung und Unfall versichern.
Firmenkreditkarte sichert Mitarbeiter finanziell ab
Das Unternehmen für Licht- und Leuchtentechnik BJB GmbH aus dem westfälischen Arnsberg hat denn auch für seine reisenden Mitarbeiter und Manager neben der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung eine Auslandskrankenversicherung und eine Dienstreise-Kaskoversicherung abgeschlossen. So steht es in den „Allgemeinen Grundsätzen für Dienstreisen“. Wenn die Dienstreise korrekt nach den Firmenrichtlinien vom Vorgesetzten genehmigt und vom Mitarbeiter innereuropäisch übers Reiseportal oder außereuropäisch über ein Reisebüro gebucht wurde, steht dem Schutz nichts im Weg. Auch wenn dieser höchst selten in Anspruch genommen werden muss, sichert sich das Unternehmen mit Produktionsstandorten in den USA, in Spanien und China sowie mit reger Reisetätigkeit in 70 Länder ab. Denn trotz weltweit aufflammender Krisen, Unruhen und starker politischen Veränderungen müssen Mitarbeiter reisen. „Auf Veränderungen reagieren wir flexibel, das war schon in ruhigeren Zeiten so und hat sich bewährt“, sagt Ulrich Klein, der kaufmännische Leiter bei BJB. „Über telefonischen Kontakt werden individuelle Lösungen wie alternative Routen oder Transportmittel abgesprochen.“ Die BJB-Reisenden sind erfahren. Klein: „Kontinuität ist wichtig – ob in der Türkei, in den USA oder nach dem Brexit in Großbritannien.“ Was vielreisenden Mitarbeitern, die unterwegs Überraschungen erleben, auch hilft, ist die Firmenkreditkarte. Damit kommen sie nicht in die Situation, privat Geld vorstrecken zu müssen – etwa, wenn ein Flughafen gesperrt ist und sie auf einen Leihwagen umsteigen müssen. Rundumpakete inklusive 24-Stunden-Telefon oder Help App bieten etwa die Versicherer Allianz und HDI. Das HDI-Paket EGO Worldwide Business wirbt mit seinem deutschsprachigen Service-Center, das über eine App erreichbar ist, die auch ein medizinisches Wörterbuch in mehreren Sprachen und die Kontaktdaten aller deutschen Botschaften enthält. Kontakte zu Ärzten und Krankenhäusern werden organisiert wie auch Rücktransporte.
Nur in zwei Fällen nutzt kein Anruf in Deutschland, weil der Chef und externe Dienstleister nicht eingreifen können: Wenn Pass- oder Einreisedokumente verloren gehen oder gestohlen werden, muss man zur Botschaft – deren Öffnungszeiten und je nach Land Notdienste googelt man am besten. Und wird der Reisende einer Straftat bezichtigt, müssen die Behörden des Außenministeriums eingeschaltet werden. So wartet zurzeit ein nordrhein-westfälischer Unternehmer mit türkischen Wurzeln und deutschem Pass im Gefängnis auf eine Lösung: Er ist wegen Terrorismusverdachts festgenommen worden, als er im November sein Werk in der Türkei besuchte.
ABGESICHERT IM AUSLAND
Vorbereitung ist bei Reisen das A und O. Was Mitarbeiter vor einer Reise erledigen können, finden Sie auf der Checkliste:
✓ Diensthandy fürs Ausland freischalten
✓ 24-Stunden-Erreichbarkeit sichern – per App oder Telefon
✓ Versicherungsschutz auf medizinische Behandlung, Tagegeld bei Arbeitsunfähigkeit, Rente bei Berufsunfähigkeit und Kapitalzahlung im Todesfall überprüfen
✓ Arbeitsaufenthalte in Krisengebieten mit Versicherungsschutz gegen Terrorismus und Kriegsrisiko absichern
✓ Rücktransport im Notfall bei der Auslandsreise-Krankenversicherung mitversichern
✓ Streik und politische Unruhen einplanen – vom Abwarten bis zur raschen Rückkehr
ICH PACKE MEINEN KOFFER…
Was neben Kleidung und Arbeitsmaterialien noch ins Gepäck gehört, zeigt die Packliste:
✓ im Original und als Kopie: Personalausweis, Reisepass, Internationaler Führerschein, Visum, Flug- und Bahnticket, Hotelbuchungsbeleg, Krankenversicherungs- und Firmenkreditkarte
✓ aktuelle Reiseinformationen und -warnungen des Auswärtigen Amtes für das Zielland und für Staaten, die auf der Reise durchquert werden
✓ Adressen von Botschaften und Konsulaten
✓ Informationen zu gesundheitlichen Risiken – zum Beispiel Epidemiegefahren
TAG UND NACHT UMSORGT
Versicherungen mit 24-Stunden-Assistenz kümmern sich rund um die Uhr um Mitarbeiter auf Dienstreise. Die Kosten zeigen die folgenden Rechenbeispiele:
Eine Personenbezogene Pauschalversicherung mit Assistenz (HDI EGO Worldwide Business) bietet 150.000 Euro Todesfallschutz, 12.000 Euro jährliche Berufsunfähigkeitsrente (bis Alter 67) und Krankenversicherungsschutz mit Assistance Leistungen. Die Prämie beträgt 114 Euro pro Person/Jahr, das sind bei 50 Personen 5.700 Euro.
Mitarbeiter in Industrieunternehmen mit Assistenz versichert zum Beispiel HDI-TriB. Jeder Versicherte kann bis zu 365 Reisetage im Jahr haben – und für maximal 180 Tage am Stück verreisen. Bei 50 dienstreisenden Mitarbeitern im Unternehmen beläuft sich der Beitrag für bis zu theoretisch denkbaren 18.250 Reisetagen inklusive der Assistance-Leistung auf 600 Euro.
Eine Mitarbeiterauslandsversicherung, etwa die Allianz Business Travel Assist BTA umfasst: Assistance, Krankenversicherung (inkl. Kranken-Rücktransport und Med. Assistance) sowie Gepäck-Versicherung, Rücktritts- und Abbruch-Versicherung, Unfall-Versicherung. Die Prämie beträgt 1,39 Euro je Reisetag/Person im Tarif bis 90 Tage.