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Die Corona-Pandemie hat Spuren in der Wirtschaft hinterlassen. Nun stecken viele Unternehmen in einem Dilemma: Der Veränderungsdruck steigt, gleichzeitig werden die Kosten strenger kontrolliert. Was hilft, um auf richtig gute Ideen zu kommen? Kooperationen mit Startups zum Beispiel.
Der Mittelstand hat eine Spitzenstellung in Deutschland, die Prozesse werden stark ausgerichtet auf spezialisierte Produkte und Dienstleistungen, der Ressourceneinsatz ist effizient, der Kundenstamm etabliert. Besonders im Industriebereich sind viele mittelständische Unternehmen mit ihren Schlüsseltechnologien Weltmarktführer.
Wenn Matthias Wallisch über den Mittelstand in Deutschland spricht, ist er voll des Lobes. Er muss es wissen: Wallisch ist beim RKW Kompetenzzentrum tätig. Die Einrichtung unterstützt kleine und mittlere Unternehmen mit Know-how und engagiert sich für gründungsfreundliche Rahmenbedingungen in Deutschland. „Insgesamt ist die wirtschaftliche Situation bei vielen Unternehmen erfreulicherweise recht stabil, wobei es zwischen den Branchen erhebliche Unterschiede gibt“, sagt Wallisch.
Kostendruck steigt
Er weiß auch: Die Herausforderungen im Mittelstand sind im Zuge der Corona-Pandemie nicht kleiner geworden. Wichtige Themen sind der Fachkräftemangel, die Digitalisierung und der Klimaschutz. Hier gelte es anzusetzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Mancherorts steigt der Kostendruck. Immobilienkosten und Büromieten werden stark von den Controllern unter die Lupe genommen, nicht selten wird in Deutschland die Bürofläche durch den Ausbau von Homeoffice abgebaut.
Nur: Reicht es aus, an der Kostenschraube zu drehen? Wie können Firmen in der Zukunft wieder gute Geschäfte machen? Und wie kommt man auf die dazu notwendigen pfiffigen Ideen, um innovative Produkte und Geschäftsfelder zu besetzen?
Gute Erfahrungen mit Startups
Ein zunehmendes Mittel der Wahl: Kooperationen mit Startups. Das Unternehmen IDS Imaging Development Systems aus Obersulm in der Nähe von Heilbronn hat damit gute Erfahrungen gemacht. Der Mittelständler, der 330 Mitarbeiter beschäftigt, entwickelt seit 1997 Kameras für die industrielle Bildverarbeitung. Die Kamerasysteme werden etwa in der Logistik und in der Industrie eingesetzt, um Produkte zu prüfen und Robotern Augen zu geben, damit das richtige Gut gegriffen wird. IDS steht wie viele unter dem Wettbewerbsdruck durch asiatische Billigfertiger.
Um ihren Wettbewerbern immer voraus zu sein, hat das inhabergeführte Unternehmen deshalb bereits seit 2018 eine Startup-Beauftragte: Sigrid Rögner trägt den Titel „Head of Business Innovation & Ecosystem“. Die 55-jährige gelernte Controllerin hält jeden Tag Ausschau nach inspirierenden Startups, mit denen IDS kooperieren kann.
„Die Veränderungen im Technologiebereich werden immer kurzlebiger, noch dazu kommen immer neue Geschäftsmodelle. Wir müssen also ständig wissen, was die Zukunft bringt“, sagt Rögner.
Mittlerweile hat ihr Unternehmen einen Marktplatz gelauncht, auf dem sich Kunden und Startups treffen können. Dort sind inzwischen 30 junge Unternehmen registriert. „Es ist die Idee, dass IDS-Kunden einen besseren Überblick bekommen, was im Markt vorhanden ist“, sagt Rögner.
Plattform statt Adressbuch
Dieser Plattformgedanke treibt auch andere um. Ganz konträr zum alten Bild, in dem der Inhaber sein Adressbuch gezückt hat, um Kontakte zu pflegen oder auszubauen. Da wäre vor allem SalsUp.
Das Unternehmen wirbt damit, Europas größte Plattform für Startups, etablierte Unternehmen und „Sals Angels“ zu sein. Mit der Wortschöpfung Sals Angels meint SalsUp Investoren, die Firmen mit Knowhow, Investments und Netzwerk unterstützen, bis diese allein weiterlaufen können.
SalsUp-Gründer Bernhard Schindler hatte sich zuvor mit einem Beratungsunternehmen selbstständig gemacht und dieses gewinnbringend verkauft. Die Anteile seines zweiten Startups im Bereich des digitalen Gesundheitsmanagements hat er Anfang 2020 ebenfalls erfolgreich verkauft. Und während dieser ganzen Tätigkeit als Entrepreneur hat ihn zunehmend die Frage beschäftigt, wie man den Mittelstand mit Investoren und Startups zusammenbringen kann.
Mehr als 92.000 Startups aus allen Branchen
Im März 2020 gründet Schindler SalsUp. Heute beherbergt die Plattform mehr als 92.000 Startups aus allen Branchen. Für die ist der Service kostenlos. Sals Angels zahlen monatlich 150 Euro, für Unternehmen wird ein monatlicher Beitrag fällig, der sich nach Anzahl der Zugänge und Art der Mitgliedschaft berechnet. Durch zahlreiche Kooperationen mit Verbänden und Institutionen haben europaweit etwa 195.000 Unternehmen einen möglichen Zugang zur SalsUp-Plattform.
Sabrina Kaindl, Head of Marketing von SalsUp, kann die Mittelständler nach ihren Motiven in drei Kategorien einteilen. Die Ersten haben in der Corona-Zeit erkannt, dass sie in der Digitalisierung hinterherhinken, und fahnden nun nach dieser fachlichen Expertise. Die zweite Kategorie hat eine konkrete Vorstellung von einer Technologie, die sie bei Startups zu finden hofft, und die dritte Kategorie sucht ohne Zeitdruck Firmen, die zu ihnen passen und in die sie investieren können.
Innovation Hub bietet Produktauswahl
„Im Showroom“, so Kaindl, „können Unternehmen aufgrund von verschiedenen Parametern wie etwa Branche, Kapitalbedarf und Firmensitz eine vorselektierte Auswahl von Startups bekommen.“ Im Live-System erhält man Vorschläge aus der eigenen Branche, mit der erweiterten Suche kann man in 700 vertikalen Märkten die Datenbank durchsuchen.
Die Suchen sind speicherbar und man erhält automatische Mailbenachrichtigungen, wenn sich neue passende Startups anmelden. Ein Matching mit einem Startup ist ebenfalls durch einen Klick möglich.
SalsUp hat neben dem Showroom auch einen Innovation Hub. Hier findet sich statt einer Firmen- eine Produktauswahl. „So können sich Unternehmen auch von Lösungen inspirieren lassen, die nicht in ihrer Kernbranche verankert sind – zum Beispiel für die Personalabteilung, die Buchhaltung oder den eigenen Fuhrpark.“
Plattformen als wichtiger Baustein
Und was kommt bei alldem heraus? SalsUp hat nach eigener Aussage keinen exakten Einblick, wie viele Kooperationen entstehen, da die Parteien auch außerhalb der Plattform kommunizieren. Marketing-Chefin Kaindl berichtet von Beispielen wie einem Startup, das exklusive Merinowolle Produkte herstellt und das jetzt mit einem Textilhersteller zusammenarbeitet. Oder einem Startup, das Ausfallzeiten auf Baustellen reduziert und sich mit einem großen Branchenverband vernetzen konnte.
Mittelstandsexperte Wallisch sieht die Plattformen als wichtigen Baustein im Ökosystem, allerdings sollte nach dem „Match“ eine Art Kooperationsgefährte hinzugezogen werden: „Beide Seiten kommen allein nicht zurecht“, sagt Wallisch, „schon aufgrund großer kultureller Unterschiede und Erwartungshaltungen Startups brauchen Geld, wollen schnellen Erfolg, wollen sofort mit Kunden ihre Produkte überprüfen – Mittelständler sind vorsichtiger, wollen vieles überdenken, haben noch dazu ein komplexes Stakeholder-Gebilde drumherum.“
SalsUp-Managerin Kaindl meint: „Wenn Erwartungen und Ziele zu Beginn gemeinsam geklärt werden, kann auch ohne Mediator eine erfolgreiche Kooperation entstehen.“ Und für diejenigen, die Unterstützung benötigen, gebe es auf SalsUp ein entsprechendes Serviceangebot durch Consultant-Experten.
Startups und Mittelstand zusammen bringen
Tobias Rappers betont ebenfalls die großen Unterschiede zwischen Startups und etablierter Wirtschaft. Er ist Geschäftsführer beim sogenannten Maschinenraum aus Berlin, einer Institution, die Mittelständler miteinander vernetzt. „Mancher Startup-Unternehmer verkörpert die Hybris, dass er der nächste Mark Zuckerberg ist“, sagt Rappers, „mancher Mittelständler möchte sich von einem Startup nichts sagen lassen, weil er allein schon länger besteht und Gewinne erwirtschaftet hat“.
Auch Startup-Kennerin Rögner sagt: „Es menschelt auf diesem Gebiet stark. Ich muss das Startup vor Ort gesehen haben, ich muss wissen, wie die auftreten, welche Sprache die sprechen.“ Rögner weiß aus jahrelanger Erfahrung, dass Startup-Inhaber heute sehr gut präsentieren können. Wenn man dann aber an der Oberfläche kratzt, dann stellt man sehr schnell fest, wie tief jemand wirklich in der Technologie drin ist.“ Plattformen seien Impulsgeber und verschaffen einen Überblick, die Erfahrungen müssen die Unternehmen selbst machen.
Kulturelle Barrieren überbrücken
Wie also vorgehen? Häufig könne schon helfen, so Wallisch, in gemeinsamen Büroräumen oder in einem Coworking-Space eine informelle Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Personen zu ermöglichen. Hierdurch entstehen bestenfalls Vertrauen und Momente der Inspiration. Weitere Maßnahmen, die von Seiten der mittelständischen Unternehmen selbst oder auch durch regionale Wirtschaftsförderungsgesellschaften umgesetzt werden können, sind beispielsweise temporäre Aktivitäten wie Hackathons, Startup-Weekends oder auch Innovationspreise, die beide Gruppen miteinander verbinden.
Rögner ist zudem viel auf Messen und Veranstaltungen unterwegs, initiiert etwa vom Maschinenbauverband VDMA, und pflegt ihr eigenes Netzwerk mit Inkubatoren und Hochschulen. Maschinenraum-Mann Rappers sagt: „Kulturelle Barrieren können überbrückt werden, wenn sich Familienunternehmen und Startups auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen: Beide Seiten zeichnen sich durch ein hohes Maß an Unternehmertum aus, sie sind und agieren extrem wertegetrieben und haben flache Hierarchien. Wenn man sich zudem mit Offenheit und mit dem Verständnis begegnet, dass man von den Stärken des anderen lernen kann, dann profitieren alle von der Zusammenarbeit.“
Brückenbauer
Damit zwei unterschiedliche Partner zusammenfinden und aus ihnen ein Dreamteam wird, braucht es Vermittler, Brückenbauer und/oder Mediatoren. Folgende Plattformen und Netzwerke können helfen:
SalsUp ist nach eigenen Angaben Europas größte Plattform für Startups und etablierte Unternehmen. Derzeit sind dort 92.000 Startups registriert. Das Ziel von SalsUp ist es, Startups, Corporates und Sals Angels durch Vernetzung und Kollaboration bei ihren Herausforderungen zu unterstützen. Innerhalb eines Jahres hat sich die Plattform gemäß der eigenen Darstellung zu einem ganzheitlichen Ökovation-System entwickelt.
salsup.de
Das RKW Kompetenzzentrum adressiert sein Angebot an Menschen, die ihr etabliertes Unternehmen weiterentwickeln, ebenso wie an jene, die mit eigenen Ideen und Tatkraft ein neues Unternehmen aufbauen wollen. Das RKW unterstützt dabei, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Firmen zu entwickeln, zu erhalten und zu steigern, Strukturen und Geschäftsfelder anzupassen und Beschäftigung zu sichern.
rkw-kompetenzzentrum.de
Der Maschinenraum bezeichnet sich als ein geteiltes Innovations-Ökosystem, das deutsche Mittelstands- und Familienunternehmen zusammenbringt, um gemeinsam eine lebenswerte Zukunft für künftige Generationen zu schaffen. Der Maschinenraum aggregiert nach eigener Darstellung Zukunftsthemen, teilt individuelle Erfahrungen und integriert notwendige Ressourcen und Erkenntnisse zur gemeinsamen Nutzung.
maschinenraum.io
Der Bundesverband Deutsche Startups vertritt die Interessen von Startups gegenüber Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Er initiiert Debatten zu zentralen Themen der Startup-Szene und setzt sie auf die politische Agenda und wirbt damit, dass in seinem Netzwerk ein gleichberechtigter Austausch zwischen Startups, etablierter Wirtschaft und Politik geschaffen wird.
deutschestartups.org