Das geplante Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten wird auch im Mittelstand kontrovers diskutiert. „Creditreform“ hat sich umgehört: Welche Branchen, welche Unternehmen profitieren – und wo lauern Risiken?
Es ist ein Bruderstreit auf mehreren Ebenen: unter Deutschen, unter Europäern, unter transatlantischen Partnern. Seit US-Präsident Barrack Obama im Januar 2013 erste Sondierungsgespräche für eine Freihandelszone zwischen den Vereinigten Staaten und der EU angestoßen hat, wird auf beiden Seiten des großen Teichs über die Dimensionen und Folgen eines solchen Abkommens diskutiert. Besser gesagt: Es wird gestritten. Und zwar so heftig, dass die EU-Kommission die Verhandlungen zu einzelnen Facetten von TTIP vorübergehend ausgesetzt hat. TTIP, das steht für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, ausgesprochen „Ti-Tip“. Entstehen soll der größte einheitliche Wirtschaftsraum der Welt mit mehr als 800 Millionen Konsumenten.
Doch dass die Verhandlungen größtenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden, ist für Verbraucher- und Umweltschützer, Gewerkschaftler, aber auch für besorgte Unternehmer wie Guido Körber aus Schönefeld ein Skandal: „Freier Handel – das klingt gut. Doch was fehlt, ist ein ehrlicher Dialog über Chancen und Risiken“, fordert der USA-Kenner, der mit seiner Code Mercenaries Hard- und Software GmbH elektronische Bauteile auch jenseits des Atlantiks verkauft. Auf Infoveranstaltungen der IHK Cottbus und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), bei denen sich auch EU-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero die Ehre gab, hatte der Exporteur bislang stets den Eindruck: Kaum ein Mittelständler in seiner Region vermag die Folgen eines solch weitreichenden Abkommens einzuschätzen. Die Befürchtung vieler Unternehmer, mit denen Körber sich austauscht: TTIP, sollte es denn kommen, wäre vor allem für Großkonzerne von Vorteil. „Unternehmensinteressen werden als Allgemeininteresse verkauft“, befürchtet auch Dr. Dierk Hirschel von Verdi.
119 Milliarden Euro zusätzlich
Fakt ist: Außerhalb Europas sind die USA unser wichtigster Absatzmarkt. Das Volumen allein im Warenhandel lag 2012 bei fast 140 Milliarden Euro. Offizielles Ziel von TTIP ist nun laut EU die „Beseitigung von Handelshemmnissen“ wie Zöllen, unnötigen Regelungen oder sonstigen Investitionsbeschränkungen. Zudem sollen Firmen im jeweils anderen Wirtschaftsgebiet leichter investieren können. „Jeden Tag tauschen Europa und die USA Leistungen im Wert von 1,8 Milliarden Euro aus“, sagt Dr. Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmensverbands. Solch ein Abkommen, das nicht nur Zölle abschaffe, sondern auch technische Standards anerkenne und mittelfristig gemeinsame Standards schaffe, das einen Wirtschaftsraum herstelle und damit Bürokratie abbaue, sei „ein großer Fortschritt für uns alle“, findet Kruse auch in seiner Funktion als Chef der mittelständischen Import- und Exportfirma Wiechers & Helm. Laut Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London würde sich der Profit für die europäische Wirtschaft durch TTIP auf 119 Milliarden Euro jährlich summieren. Der durchschnittliche EU-Haushalt hätte 545 Euro jährlich mehr zur Verfügung, wenn sich Waren und Dienstleistungen ohne Zölle und durch weniger Bürokratie verbilligen. Studien für die Bertelsmann Stiftung halten zudem allein in Deutschland gut 120.000 neue Jobs binnen fünf Jahren für möglich. Brüssel sieht TTIP als „gutes Mittel zur Stimulierung der Volkswirtschaften“, da es Nachfrage und Angebot verstärke, ohne dass die öffentliche Hand ihre Ausgaben oder ihre Kreditaufnahme erhöht: „Es wäre das kostengünstigste Konjunkturpaket, das man sich vorstellen kann.“ Für Skeptiker wie Gewerkschaftsökonom Hirschel haben solche „Schönwetterprognosen“ Tradition: Im Vorfeld freihandelspolitischer Bestrebungen werde nie mit optimistischen Prognosen gespart, ihre Treffsicherheit sei jedoch stets „sehr gering“. „Vor Schaffung des EU-Binnenmarkts versprach der Cecchini-Report ebenfalls große Wachstums- und Beschäftigungsgewinne. Letztere konnten nie realisiert werden“, so der Verdi-Vertreter.
Zölle ohnehin schon niedrig
Doch sehen wir uns die Vorteile im Detail an: Die Zölle zwischen den Handelsblöcken liegen im Durchschnitt laut EU-Angaben bei vier Prozent. „Im transatlantischen Handel überwiegen Industriegüter“, erklärt Hirschel. Deren Zölle seien ohnehin schon niedrig. Darum erwartet Verdi keine nennenswerten Handels- und Wachstumsschübe mehr. „Die Zölle sind niedrig, das ist richtig – aber es gibt sie“, hält Prof. Gabriel Felbermayr vom Ifo Institut dagegen. So koste es immerhin zehn Prozent an Zollgebühren, wenn man hierzulande ein US-amerikanisches Auto kaufe. Unser Beispielexporteur Guido Körber zahlt zwar keine Zölle auf seine Elektrokomponenten – Probleme bereiten ihm dafür die umständliche Zollabfertigung und strenge Anti-Terror-Gesetze: „Aber ob sich die ebenfalls vereinfachen würden? Dazu habe ich bislang keine Infos.“
Auch der zweite, weit wichtigere Vorteil von TTIP dürfte sich nicht positiv auf sein Unternehmen Code Mercenaries auswirken: der Abbau unnötiger Regelungen und Vorschriften, von nichttarifären Handelshemmnissen also. „Tiefe Liberalisierung“ nennen TTIPP-Verfechter das. Allerdings werden Branchenstandards im Fall von Körbers Elektrokomponenten nicht von Washington oder den einzelnen Bundesstaaten gesetzt, sondern obliegen etwa beim Brandschutz den US-Feuerversicherern und großen Zertifizierern. Kontrolliert werde deren Einhaltung von der örtlichen Feuerwehrverwaltung, erzählt der Unternehmer und ist skeptisch: „Ob sich der County-Sheriff vor Ort wirklich von den US-Bundesbehörden sagen lässt, dass er künftig auch den CE-Standard aus Europa anzuerkennen hat?“
In anderen Branchen hingegen mag es die erhofften Effekte geben: „Beide Wirtschaftsräume verfügen zwar über hochentwickelte Systeme zur Gewährleistung von Sicherheit und Verbraucherschutz – wählen jedoch oft verschiedene Ansätze, um das gleiche Ziel zu erreichen“, heißt es auf einer EU-Website zu TTIP. „Für diese Unterschiede gibt es häufig keinen guten Grund, sie sind geschichtlich gewachsen“, weiß Ifo-Forscher Felbermayr. So gebe es zum Beispiel unterschiedliche Vorschriften dazu, in welcher Höhe die Bremsleuchten eines Autos angebracht werden. „Hersteller müssen den Heckbereich von Autos also zweimal entwickeln. Das ist teuer, macht aber für die Sicherheit keinen Unterschied.“ CEPR in London hat ausgerechnet, dass solche getrennten Regelwerke wie ein Zusatzzoll von 10 bis 20 Prozent wirken – Kosten, die der Verbraucher trägt. Ein weiterer Effekt von TTIP: Würden Ausschreibungen in den USA für europäische Unternehmen geöffnet, könnten diese um dortige Bau- und Verkehrsprojekte mitbieten. Das funktioniere aber auch umgekehrt, warnt Gewerkschaftsökonom Hirschel: „Wenn US-Firmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe gleichbehandelt werden, sind Bund, Länder und Kommunen kaum mehr in der Lage, die regionale Wirtschaft zu steuern.“
Auch die Jobprognosen hält der Verdi-Experte für einen „homöopathischen Effekt“, da sich dieser Beschäftigungszuwachs auf Jahre verteile. „Diese neuen Jobs kommen nicht über Nacht“, räumt auch Felbermayr ein, der diese Prognose im Rahmen seiner Studie für die Bertelsmann Stiftung errechnet hat. Wahrscheinlich gingen zunächst sogar erst einmal Jobs verloren. Die langfristigen Gewinne würden aber viel größer sein als die kurzfristigen Verluste. „180.000 sind eine Menge, und jeder zusätzliche Arbeitsplatz ist gut. Aber es wäre nicht einmal ein halber Prozentpunkt der Beschäftigung in Deutschland – kein riesiger Effekt also.“
In fast allen Branchen wird es Gewinner und Verlierer geben. „Gewinner werden die Firmen sein, die international wettbewerbsfähig sind, aber bislang nicht in die USA exportieren. Wer nicht wettbewerbsfähig ist, bekommt mehr Druck. Für große Firmen, die schon international aufgestellt sind, gibt es nur geringe Effekte“, sagt Ifo-Forscher Felbermayr. Dr. Ulrich Schoof von der Bertelsmann Stiftung stellt in einem Erklärvideo auf youtube die Branchen vor, die von TTIPP am stärksten profitieren: Nahrungsmittel, Land- und Forstwirtschaft, Elektroindustrie, Fahrzeug-/ Maschinenbau sowie Metallerzeugung und -verarbeitung.
In Gesprächen mit „Creditreform“-Lesern konnten wir zudem die folgenden Kategorien von Unternehmern ausmachen: Diejenigen, die gern in den USA aktiv wären, bislang aber etwa den bürokratischen Aufwand scheuen, hoffen auf Erleichterungen. An sie richtet sich unsere Checkliste auf Seite 16. Ebenso sind diejenigen für TTIP, die bereits drüben vertreten sind – und für die das Geschäft leichter und günstiger werden könnte. Auf der anderen Seite scheint es aber durchaus auch Firmen zu geben, die sich vor mehr Wettbewerb auf dem Heimatmarkt fürchten. Da kleinere und mittelgroße US-Anbieter weniger export orientiert sind als unser Mittelstand, dürften es hiesige Unternehmer vor allem mit US-Konzernen zu tun bekommen – klingt wie David gegen Goliath?
Damit Großkonzerne die Bundesrepublik nicht bei Schiedsgerichten verklagen, sobald sie sich von nationalen Bestimmungen behindert fühlen, zog die EU-Kommission im Januar die Notbremse und setzte wie eingangs erwähnt die Verhandlungen über diesen Teil des Abkommens – den Investitionsschutz – kurzerhand aus. Etwa zeitgleich mit unserem Redaktionsschluss will Brüssel nun den EU-Entwurf zum Investitionsschutz veröffentlichen, damit Bürger „quer durch Europa“ ihn kommentieren – per Online-Umfrage und Bürgersprechstunden. Gut möglich also, dass TTIP bei Erscheinen dieser Ausgabe wieder für Schlagzeilen sorgt.
Die German American Chamber of Commerce rät Unternehmern, vor dem Markteinstieg in die USA folgende Punkte zu berücksichtigen:
- Klären Sie, welche Vorteile und Risiken mit einem Markteinstieg in die USA verbunden wären.
- Checken Sie genauestens Ihre bisherigen Kapazitätsauslastungen.
- Bedenken und überschlagen Sie die Investitionen, die bei dem Vorhaben, in die USA exportieren zu wollen, getätigt werden müssten.
- Überprüfen Sie Ihre Finanzkraft daraufhin, ob Reserven für Investitionen bei einem Markteintritt vorhanden sind oder sich bilden lassen
- Erstellen Sie eine Kurzanalyse Ihres USA-Vorhabens (in den meisten Fällen von Europa aus möglich) mithilfe von internen oder externen Beratern, die ausreichend Erfahrung mit dem größten Binnenmarkt der Welt besitzen.
- Überprüfen Sie die steuerlichen und rechtlichen Aspekte Ihres USA-Engagements mit Ihrem Steuer- und Rechtsberater in Deutschland.
- Falls alle bisherigen Ergebnisse für ein USA-Engagement sprechen, stellen Sie die erforderlichen Mittel bereit.
- Wählen Sie einen internen oder externen Berater aus, der die weiteren Schritte in den USA „vor Ort“ mittelfristig und langfristig planen kann.
- Erstellen Sie eine erste Vertriebsstrategie. Was diese enthalten sollte, erfahren Sie ebenfalls unter obigem Link.
- Prüfen Sie bei allen Akquisitions- und Verkaufsunterlagen anhand von Angeboten aus Deutschland und aus den USA die Höhe der anfallenden Produktionskosten.
- Beachten Sie bei der Erstellung von Werbe- und Druckmaterial sowie Produktinformationen, dass „Warnings“ angebracht werden müssen. Lassen Sie diese unbedingt von einer US-Versicherungsgesellschaft, die Ihr Produkthaftpflichtrisiko übernimmt, oder von einem US-amerikanischen Anwalt prüfen.
- Decken Sie unbedingt das Risiko der Produkthaftung ab. Hierzu empfiehlt es sich, einen Vertrag mit einer Versicherungsgesellschaft abzuschließen, die in Deutschland und in den USA vertreten ist.
- Organisieren Sie aktive Verkaufsunterstützung durch Vertriebspartner.
- Bereits vor Vertriebsbeginn sollte engster Kontakt zwischen Ihnen und Ihrem US-Vertrieb bestehen. Im Normalfall sollten Ihre Berater für diese Aufgabe in den USA mittel- und langfristig zur Verfügung stehen.