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Creditreform

Wenn in Norddeutschland eine steife Brise die Windkrafträder so richtig auf Touren bringt, landet ein Teil des produzierten Stroms nicht im überlasteten Stromnetz, sondern in einer Biogasanlage – in Form von Wasserstoff.

Von Dirk Schäfer

Kern dieser Anlage ist ein Elektrolyseur. Mit überschüssigem Strom aus Windkraftanlagen spaltet er Wasser in dessen Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff auf. Letzterer wird in der Biogasanlage verbrannt und so schließlich in Strom und in Wärme verwandelt. „Stromlückenfüller“ nennt die GP Joule GmbH aus Reußenköge ihr Konzept. „Die Systeme sind in der Energiewende ein perfektes Bindeglied, denn sie können überschüssigen Strom aus Windkraft- oder auch Photovoltaikanlagen sinnvoll nutzbar machen“, sagt Geschäftsführer Ove Petersen.

Die Sache hat jedoch einen Haken: Noch ist das Konzept nicht verwirklicht. Eine Anlage am Firmensitz von GP Joule in Norddeutschland ist im Bau, eine weitere bei Augsburg ist in Planung. Doch läuft alles wie erhofft, soll der Elektrolyseur bald die fluktuative Stromerzeugung aus Wind und Sonne ein Stück weit auffangen. Bei der Versorgungsgesellschaft Eon denkt man ähnlich. Unlängst hat der Düsseldorfer Konzern im brandenburgischen Falkenhagen die bundesweit größte Pilotanlage in Betrieb genommen, die mit überschüssigem Strom aus Windkrafträdern Wasserstoff erzeugt, der dann ins Erdgasnetz eingespeist wird. Powerto-Gas nennt sich das Verfahren.

Wasserstoff als Garant der Energiewende? Wohl kaum. Zwar beflügelt das äußerst reaktionsfreudige Element seit seiner Entdeckung Mitte des 18. Jahrhunderts die Gemüter. Auf der Erde kommt es allerdings in Reinform so gut wie nicht vor – es ist in Gas, Öl oder Wasser gebunden. Gewinnen lässt sich Wasserstoff erst durch spezielle Verfahren wie der Elektrolyse. Als im 19. Jahrhundert die erste einfache Brennstoffzelle das Licht der Welt erblickte, die dank umgekehrter Elektrolyse aus Wasserstoff und Sauerstoff Strom erzeugte, ersannen Visionäre die Idee einer Wasserstoffwirtschaft. Deren Basis sollte nicht Strom aus dreckigen Primärenergien wie Kohle oder Öl sein, sondern Wasserstoff, produziert mit Strom aus sauberen Quellen wie Wind, Sonne oder Wasserkraft.

Weltweit wird geforscht

Dass daraus bis heute nichts wurde, hat einen simplen Grund: „Wasserstoff steht immer in direkter Konkurrenz zu seiner Ursprungsquelle, nämlich Strom. Und dieses Rennen kann Wasserstoff nie gewinnen“, sagt Ulf Bossel, Gründer des European Fuel Cell Forums mit Sitz in der Schweiz. Bei der Elektrolyse gingen bis zu 40 Prozent der eingesetzten Energie verloren, so Bossels Rechnung. Weltweit arbeiten Forscher daher daran, die Elektrolyse effizienter zu machen. „Es gibt jede Menge interessante Ansätze, die im Labor oder im kleinen Maßstab gut funktionieren“, sagt Prof. Alfred Holzwarth, der am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim/Ruhr forscht. Kein Verfahren aber sei so weit, Wasserstoff in großem Maßstab kostengünstig zur Verfügung zu stellen – bislang.

„Das Power-to-Gas-Verfahren ist in gewissem Rahmen vielleicht noch sinnvoll umzusetzen“, sagt Bossel. Zwar gehe hier Energie verloren. Dies aber könne unter Umständen sinnvoller sein, als Windkrafträder abzuschalten. Zudem biete sich das große deutsche Erdgasnetz als Zwischenspeicher für Wasserstoff an. Flächendeckend aber hält Ingenieur Bossel den Einsatz von Wasserstoff für verfehlt: „Das wäre teuer, denn an irgendeiner Stelle würden die Energieverluste geltend gemacht.“ Nur rund ein Viertel der Ursprungsenergie ließe sich zurückgewinnen, verwandelt man Wasserstoff in Haushalten per Brennstoffzelle wieder in Strom.

Nischenlösungen mit Potenzial

Um die Entwicklung innovativer Wasserstoff-Technologien voranzubringen, legte im Jahr 2006 die damalige Bundesregierung das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff und Brennstoffzellentechnologie (NIP) auf. Bis 2016 stellt das Bundeswirtschaftsministerium in diesem Rahmen 1,4 Milliarden Euro für Forschungs- und Entwicklungsprojekte bereit. Ein guter Teil fließt in den Bereich Mobilität, vor allem in das Weiterentwickeln von Pkws mit Wasserstoff- beziehungsweise Brennstoffzellenantrieb. Die Technik ist attraktiv: Wasserstoff-Autos bringen ihre Insassen fast genauso weit wie Benziner oder Diesel, stoßen dabei aber nur Wasser aus.

Geforscht wird seit Jahrzehnten, doch immer wieder wurde der Start von Serienfahrzeugen verschoben. Im vergangenen Jahr haben erneut mehrere Autokonzerne angekündigt, zwischen 2015 und 2020 mit serienreifen Modellen an den Markt zu gehen. An die Infrastruktur ist ebenfalls gedacht. Im Verbund mit Mineralölkonzernen sowie Gasherstellern will Daimler das Tankstellennetz ausbauen. Aktuell gibt es in Deutschland etwa 15 öffentlich zugängliche Wasserstoff-Zapfsäulen, in zehn Jahren sollen es 400 sein. Gespeist werden sollen die Wasserstoff-Zapfsäulen über kleine Elektrolyseure, die mit überschüssigem Strom aus der Region arbeiten. Weitere Projekte sind in der Entwicklung. Derzeit testet BMW in seinem Werk in Leipzig fünf Gabelstapler auf Alltagstauglichkeit, die mit Wasserstoff betrieben werden. Im Gegensatz etwa zu Elektrostaplern bringt der Wasserstoffantrieb bis zum letzten Tropfen volle Leistung, zudem geht das Tanken schneller von der Hand.

Bei GP Joule jedenfalls ist man optimistisch, dass einzelne Wasserstoff-Anwendungen ihren Markt finden werden – und dies durchaus auch in größerem Stil. „Wir arbeiten derzeit an einem Elektrolyseur mit einer Leistung von einem Megawatt“, so Ove Petersen. Groß genug, um die Technik auch für Kunden aus der Industrie interessant zu machen.

Dirk Schäfer

Die interessantesten Einsatzmöglichkeiten für Wasserstoff sind derzeit:

– als chemischer Energiespeicher und -träger für erneuerbaren Strom. Mithilfe der Brennstoffzellen lässt der Wasserstoff sich effizient in elektrische Energie umsetzen – etwa in Fahrzeugen oder in der kombinierten Energieversorgung von Strom, Wärme und Kälte.

– in industriellen Prozessen, etwa in der Grundstoffindustrie.

– zur Einspeisung in das Gasnetz (Power-to-Gas).

– zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Damit trägt Wasserstoff maßgeblich zum Klimaschutz und zur Luftqualität bei und erleichtert die Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem.

– in Form von Wasserstoffspeichern, die einen Beitrag zur Netzstabilität leisten können. So wird der Bedarf an Stromnetzerweiterungen reduziert und die rechtzeitige Anpassung des Netzausbaus möglich.

Quelle: Wasserstoffgesellschaft Hamburg

Mehr zum Power-to-Gas-Verfahren, zu heutigen und künftigen Brennstoffzellen und zu wasserstoffgespeisten Blockheizkraftwerken unter creditreform-magazin.de/wasserstoff2014