
© Andreas Reeg
Über sechs Generationen hat sich R.M. Wegener einen Weltruf erarbeitet: Hüte aus der hessischen Provinz gelten als Klassiker in der altvornehmen Welt. Nun tritt Theresa Plückhahn die Nachfolge an. Sie ist der jüngste Spross der Familie – und sie stellt alles auf den Kopf.
„Theresa! Besuch für dich, 500 Leute“, ruft der Vater. Kleiner Scherz, während er den Besucher hereinführt. Hans Theodor Wegener verabschiedet sich auch gleich wieder: „Ich geh mit dem Hund.“ Falls etwas sei, könne man ja anrufen. Seit Juli ist der Patriarch nicht mal mehr Seniorchef. Seine Tochter bestimmt als Geschäftsführerin die Geschicke jenes Betriebs, der sich seit April 1888 als „Haarhutfabrik R. & M. Wegener“ einen Namen machte. Abschiedsschmerz nach mehr als 40 Jahren als Chef? Nicht zu verleugnen. „Ich komme jeden Morgen ins Büro und bleibe bis 12 Uhr. Der Bauch sagt bleiben, der Kopf sagt: Raus hier“, berichtet der 70-Jährige – und weg ist er.
Da steht nun allein Theresa Plückhahn, geborene Wegener. Sie bittet in den stilechten Konferenzraum. Eine hölzerne Werkbank mit Glasplatte dient als Tisch, Glühbirnen leuchten in alten Zylinderhüten. Acht gerahmte Porträts der Ahnen schmücken die Wand. „Diesen Besprechungsraum einzurichten, war meine erste Amtshandlung – weg vom Flurfunk“, sagt die junge Frau. „Einige Mitarbeiter kennen mich noch als Kleinkind. Für die ist der Rollenwechsel eine echte Umstellung.“
Nachfolge: Weiter so wäre zu wenig
Schon als Schülerin hat sie die Nachmittage in dem verwinkelten Backsteinbau zugebracht, später gejobbt fürs Taschengeld – und am Abendbrottisch den Geschichten gelauscht. „Es ging zu Hause immer um die Firma, ich habe das aufgesogen.“ Nun kehrt die 32-Jährige als Volkswirtin und Wirtschaftspsychologin zurück, tauscht ein Leben in Hamburg, Berlin oder München gegen eines in Lauterbach-Blitzenrod und weiß: Es geht ums Ganze. Denn hochwertige Hüte und Mützen unters Volk zu bringen, ist kein Selbstläufer mehr.

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„Weiter so“ wäre zu wenig, um das Unternehmen in die Zukunft zu führen.„Made in Germany“ will im Hutgeschäft niemand mehr bezahlen. So fiel ein einschneidender Beschluss im Sommer 2018: Werner Ruppel, der letzte Hutmacher von Lauterbach, ging in den Ruhestand. „Da haben wir schweren Herzens entschieden: Lassen wir es erst mal mit der Eigenfertigung“, sagt Plückhahn. Wegener wandelt sich vom Hersteller zum Handelshaus mit Designkompetenz und Innovationspotenzial. Ein Strategiewechsel, der schon von Hans Theodor Wegener eingeleitet wurde. Theresa wird ihn nun vollenden – und das familiengeführte Hutgeschäft zusätzlich digitalisieren.
Dankbar für jeden Hipster
Tradition bewahren, verlässliche Handelsbeziehungen pflegen – und dennoch als Marke selbst im Endkundengeschäft angreifen: Das ist ein schwieriger Spagat. Hier die treuen Hutladen-Inhaber, die teilweise noch per Fax ordern. Dort die neue Instagram-Welt, in der Hüte längst kein notwendiges Kleidungsstück mehr sind, sondern lässiges Accessoire. „Ja, wir sind dankbar für jeden Hipster“, sagt Plückhahn und lacht. „Wir wollen in die Moderne kommen und stärker die jüngere Generation ansprechen.“
So wird im Jahr 2020 auch der Vertrieb auf neue Beine gestellt: Im Frühjahr öffnet ein eigener Webshop. Was banal klingen mag, kommt einer Kehrtwende gleich. Denn bisher war „Headwear made by Wegener“ ein reines B2B-Geschäft: Die Hessen belieferten einige Tausend Hutläden und Kaufhäuser, traten aber nie direkt in Kundenkontakt. „Künftig werden wir auch mit Themen wie Retouren zu tun bekommen“, sagt Plückhahn. „Das wird heiß, für uns ein ganz neues Feld.“ Doch sie geht ihre Mission alles andere als unvorbereitet an: Digitalmarketing, Markenführung und Vertriebsfragen sind ihr nicht nur aus dem Studium vertraut. 2012 hat sie den steilen Aufstieg von Zalando in Berlin begleitet, weitere Stationen waren die Werbeagentur Ogilvy, wo sie im Beraterteam für Coca-Cola mitwirkte, sowie der Online-Händler Zooplus in München. Wichtige Quintessenz: „Der Blickwinkel des Kunden ist immer entscheidend.“ Das gelte auch für die Zusammenstellung der Hutkollektionen: „Ich lerne gerade, dass ich nicht so sehr nach meinem eigenen Geschmack gehen darf.“ Das Credo bleibt: Für jeden Kopf der passende Hut. Beanies, Melonen, Schlägermützen, Strickware für den Winter, pflegeleichte Papierhüte für den Sommer: An Formen und Materialien mangelt es nicht – von Filz über Samt bis Cord.
Hut trifft High Heel
1,5 Millionen Kopfbedeckungen verlassen jährlich die Lager in Lauterbach. In Lizenz fertigt Wegener für Marken wie Bruno Banani, Bugatti und seit Neuem auch Tamaris – passend zu den Damenschuhen wird die Kollektion im Team entwickelt. Und schon lange vor dem Abschied von Hutmacher Ruppel war der allergrößte Teil Importware. Wegener bezieht die zum Teil in Lohnfertigung hergestellten Hüte zu etwa gleichen Teilen aus Italien, Polen und der Türkei, sowie ausgesuchten Betrieben rund um Shanghai. „Durch langjährige Beziehungen ist Vertrauen gewachsen, zweimal im Jahr besuchen wir in China die Produktionsstätten“, sagt Plückhahn.

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Kürzlich war sie mit zwei Mitarbeitern in Shanghai, brachte Muster mit, von denen dann 30 für die neue Kollektion ausgewählt wurden. In Lauterbach. Die hessische Kleinstadt bleibt Dreh- und Angelpunkt: Von der Designentwicklung über die Begutachtung aller Stoffe bis zur Endabnahme, Lagerung und Auslieferung laufen hier alle Fäden zusammen.
Und künftig kommt eben auch Influencer-Marketing aus Blitzenrod. Die eigene Marke Wegener stärker herausstellen, Begehrlichkeit wecken: Das ist eines der Vorhaben, Imagepolitur inklusive. Zierte bisher eine fliegende Melone das Firmenlogo, hat nun der Salzburger Brand Designer Chris Mimler ein markantes bronzefarbenes Monogramm entworfen: ein dezent verspielter Hingucker mit Hut, W und Herz. „Ich bin sehr glücklich damit“, sagt Plückhahn. Auf einem Poster im Treppenhaus haben alle 45 Mitarbeiter neben dem neuen Logo unterschrieben, es wirkt wie ein Bekenntnis.
Viele Weichen sind gestellt: „Hüte sind als Modethema absolut im Kommen“, ist Plückhahn sicher. Neben dem Heimatmarkt sorgen Russland, Korea und Frankreich für starke Nachfrage. „Auch wenn die Russen unseren Verzicht auf Tierfell nicht nachvollziehen können.“ Nachdem 2019 eher schwach verlief, auch weil das neue Warenwirtschaftssystem hakte, peilt das Unternehmen für 2020 Wachstum an. „Wir schreiben schwarze Zahlen“, sagt Plückhahn. Ein Umsatz von wieder mehr als neun Millionen Euro ist das Ziel.
Geld oder Leben?
Die Euphorie über den Aufbruch ist ihr anzumerken. „Ich habe Lust, ich will es machen“, das hat sie bereits 2017 gesagt, als der Familienrat über die Nachfolge tagte. „Wozu noch einen Interimsmanager holen?“ Ihr Bruder Klaus, der das Startup Caseable in Berlin führt, ging wirtschaftlich ins Risiko und löste Bankkredite ab. Eine Übernahme als Geschäftsführer des Familienbetriebs sei für ihn nicht infrage gekommen, zu beschäftigt ist er in der Hauptstadt mit seinem Unternehmen, das individualisierte Laptop-Taschen und Smartphone-Hüllen fertigt. So kam seine Schwester Theresa zum Zug. Sie lernte ein Jahr an der Seite ihres Vaters alle Abläufe kennen. „Seine Erfahrung ist Gold wert. Mein Bruder gibt das Geld, ich gebe mein Leben“, sagt sie und muss lachen ob der großen Worte – in denen aber auch ein bisschen Wahrheit steckt.

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In Lauterbach zu arbeiten, darf durchaus als Statement gelten. Ein zweiter Geschäftsführer soll sich um die Finanzen kümmern, die Suche läuft, das Anforderungsprofil ist streng definiert. „Aber der Dienstort lockt nicht unbedingt jeden“, weiß Plückhahn. Viel Grün, frische Luft ist im Angebot. Und jede Menge Historisches.
Theresa Plückhahn schreitet durch die ehemaligen Produktionssäle. Mächtige 9.000 Quadratmeter auf mehreren Geschossen, überall Relikte aus Zeiten, als dort noch mehr als 200 Leute rackerten. Eine „Termintafel“ prangt über dem großen Raum – und kennt nur zwei Zustände: „Sehr eilig“ und „eilig“.
Die Chefin hat das ehemalige Kontor des Personalvorstehers bezogen. Es wirkt halb wie ein Industriemuseum, halb wie ein Startup-Workspace. Hier die ehemalige Durchreiche für die Lohntüten der Arbeiter, dort der Kopfhörer für die Skype-Calls. Als schmucker Bürodrehsessel dient Theresa Plückhahn ein Eames-Designklassiker mit weißem Leder. Auf dem Fensterbrett zum Innenhof lehnt eine Postkarte: „Yes you can“ steht in großen Lettern darauf – der Mutmacher einer Freundin.
Hut-Historie seit gut 200 Jahren
Die Ursprünge von R. & M. Wegener reichen ins Jahr 1817: In Hamburg-Altona gründete Nicolaus Hinrich Dubbers eine Hutfabrik. Seine Tochter heiratete Theodor Ferdinand Wegener, deren Söhne Robert und Maximilian als Gesellschafter später namensprägend waren. Um dem Hamburger Lohnniveau zu entgehen, kaufte Robert Wegener ein Grundstück einer abgebrannten Spinnerei im hessischen Lauterbach und verlagerte 1884 den Betrieb. Lokal verankert, baute Wegener auch Wohnungen und sorgte sogar für ein Schwimmbad. Hans Theodor Wegener, Unternehmenslenker in der sechsten Generation, steigerte in über 40 Jahren den Bekanntheitsgrad und trieb als Chef die Internationalisierung voran. Er erhielt Unternehmer-Preise für soziales Engagement und stellte auch sicher, dass Wegener deutsche Olympia-Teams mit Hüten ausstattete. Uniformträger beliefert Wegener ebenfalls mit Dienstbekleidung – etwa Polizeieinheiten oder Airline-Crews. Theresa Plückhahn, seit Juli 2019 Geschäftsführerin, führt den Betrieb in Familienbesitz in siebter Generation.
R&M Wegener in Zahlen: Mitarbeiter: 45, Umsatz: 9,3 Mio. Euro (2018), Jahresproduktion: 1,5 Millionen Hüte und Mützen
Danke füprn den iunteressanten Bericht über eine ehemalige Hutfabrik. Die Zahlen am Schluss besagen, dass die Produktion 1,54 Mio Hüte umfasst. Im Text habe ich aber gelesen, dass jetzt nur noch Handel betrieben wird. Schade, ich kaufe hier nur Hüte, die in D. hergestellt werden. Einen Sombrero habe ich mal in Mexiko gekauft.
Hallo, danke für den interessanten Bericht. Die Dame finde ich stark und mutig. Wünsche ihr viel Kraft und viel Erfolg!
Solch eine Umstellung (vom Fertigungsbetrieb auf Markendesign- und Handelspartner) bedarf den Mut der Realität in die Augen zu schauen und die Verantwortung für die Mitarbeiter zu übernehmen. Ich bin mir sicher, dass die Eigenproduktion bei Wagener in ein paar Jahren zurückkehrt – für elitäre Produkte.
Hut ab vor so viel Mut, viel Erfolg für weitere Neuerungen und Engagement. Wir werden der Marke treu bleiben.
Koennte man denn nicht die villa verkaufen?