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Lieferketten sind heute enorm komplex. Hier Nachhaltigkeit durchzusetzen und nachzuhalten, kann eine Mammutaufgabe für Unternehmen sein. Strikte Planung und gute Auswahl der Zertifizierer helfen, sie zu bewältigen.

 

Sie sind der Goldstandard in Sachen Nachhaltigkeit in der Textilindustrie: die Brand Performance Checks der Fair Wear Foundation. Einmal im Jahr veröffentlicht die gemeinnützige Organisation, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie einsetzt, ihre Prüfungsergebnisse. Sie machen detailliert deutlich, wie gut es Mitgliedsunternehmen gelingt, Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dazu werden Produktionsstätten vor Ort kontrolliert und Gespräche mit der Belegschaft geführt.

Der Textilhändler Hess Natur ist der Organisation 2005 als erstes deutsches Unternehmen beigetreten – und hat bereits mehrfach die höchste Bewertung, den Leader-Status, erreicht. „Die gesamte textile Lieferkette ökologisch und sozial fair zu gestalten, ist Teil unserer Unternehmensidentität. Dabei müssen auch die Preise für Lieferanten, Kunden und Hess Natur so gestaltet sein, dass wir nachhaltig wirtschaften und damit für die Zukunft bestehen können“, sagt Kristin Heckmann, Leiterin Corporate Responsibility beim Unternehmen.

 

Global einkaufen, lokal rechtfertigen

Vor einer ähnlichen Aufgabe wie Hess Natur stehen viele Unternehmen mit globalen Lieferketten. Sie profitieren vom Zugang nicht nur zu Absatz-, sondern eben auch zu Beschaffungsmärkten. Doch weltumspannende Lieferketten sind schwer zu überwachen. Gleichzeitig fordern viele Marktteilnehmer, egal ob Kunden, Verbraucher, NGOs oder Gesetzgeber, dass Unternehmen ein hohes Maß an Nachhaltigkeit während ihres Produktions- und Vertriebsprozesses einhalten.

Um diese Ansprüche zu erfüllen, werden in vielen Branchen verbindliche Nachhaltigkeitsregeln für Lieferketten erarbeitet. Zum Beispiel in der Chemie- und Pharmabranche. Dort hat der Verband der chemisch-pharmazeutischen Industrie die Nachhaltigkeitsinitiative „Chemie hoch drei“ ins Leben gerufen. Darin wurde unter anderem ein Leitfaden mit praxisnahen Bausteinen für kleine und mittelständische Unternehmen der Branche erarbeitet, mit denen ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement aufgebaut werden kann.

Zu den Modulen des Leitfadens gehören unter anderem die Identifikation von Nachhaltigkeitsaspekten in Lieferketten, der Aufbau eines Regelwerks, die Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Lieferanten sowie ein Tool für die Risikoeinstufung von Lieferanten. Letzteres wird im Leitfaden konkret an Fallbeispielen erklärt: Will ein Rohstofflieferant für ein Unternehmen keine Informationen über sein eigens Zulieferernetzwerk offenlegen, aber dank örtlicher NGO bekannt ist, dass Kinderarbeit in zwei der drei Regionen verbreitet ist, in denen der Rohstoff gefördert wird, dann ist das Lieferantenrisiko als hoch einzuschätzen.

Silke Conrads, Nachhaltigkeitsmanagerin beim Dünge- und Pflanzenschutzhersteller Neudorff in Emmerthal, hat an dem Leitfaden mitgearbeitet. „Wir wollen wirtschaftlich nachhaltig mit den Ressourcen umgehen, die wir brauchen, und dabei negative Umwelteinflüsse vermeiden und gerecht und sozialverträglich handeln.“

Bei der Überprüfung der überwiegend regionalen Lieferanten greift das Unternehmen auf verschiedene Audits zurück und verlässt sich überwiegend auf Zertifizierungen wie die ISO 14001. Die internationale Norm legt weltweit anerkannte Anforderungen an ein Umweltmanagementsystem fest. Bei Lieferanten außerhalb der Europäischen Union, wie beispielsweise aus China, setzt Neudorff ebenfalls auf Audits.

Allerdings sei dort immer ein Restrisiko gegeben – man müsse sich auf den Auditierungspartner und das teilnehmende Unternehmen verlassen können, denn die Kontrollmechanismen seien begrenzt – allein schon durch die Sprachbarrieren. „Jeden einzelnen Zulieferer persönlich zu überprüfen, ist häufig schon aus Kostengründen nicht möglich.

Umso wichtiger ist daher eine intensive Auswahl des Auditors, dem eine entscheidende Rolle zufällt“, sagt die Nachhaltigkeitsbeauftragte. Wichtig sei zudem, dass die Überprüfung in regelmäßigen Intervallen wiederholt werde.

Dem stimmt Christian von Boetticher, Geschäftsführer beim Lebensmittelhersteller Peter Kölln aus Elmshorn, ausnahmslos zu. „Nachhaltigkeit bei Kölln ist gelebte Kultur eines Familienunternehmens, das in Generationen denkt und ökologische, ökonomische und soziale Belange in Einklang bringt.“ Das bedeutet, bezogen auf die Lieferkette von Kölln, dass es für viele Rohstoffe Zertifizierungen gibt, die über den branchenüblichen Standards liegen.

Bei Schokolade ist es beispielsweise das UTZ-Siegel, das Landwirte nur erhalten, wenn sie sich auf die Einhaltung eines Verhaltenskodex einlassen, der soziale Kriterien festlegt und Anforderungen an die Umweltverträglichkeit und effiziente Bewirtschaftung stellt. Ähnliches wünscht sich von Boetticher auch für Palm­öl, dort sei die Zertifizierung aber noch nicht zufriedenstellend und der Gesetzgeber gefragt.

Wichtig bei der Wahl des Zertifizierungspartners sei, dass regelmäßige und stichprobenartige Kontrollen bei den Lieferanten vorgenommen werden. Daher seien ISO-Zertifizierungen auch bei Kölln die erste Wahl für Lieferanten im Inland. „Die Ansprüche an die Kontrollsysteme sind hoch – nur so werden sie auch ernst genommen“, sagt von Boetticher.

Er ist zudem der Ansicht, dass der Kontrollprozess bei der Rohstoffproduktion in der Nahrungsmittelindustrie so früh wie möglich ansetzen sollte – also direkt beim Rohstoffhersteller. Hier seien vor allem die Gesetzgeber in den Ländern der Hersteller gefragt. So gebe es für eine Reihe von Rohstoffen, wie beispielsweise Gewürze, leider noch gar keine anerkannten Zertifizierungsprozesse.

 

Virtuell zur Produktherkunft

Die Drogeriemarktkette dm setzt in Sachen Nachhaltigkeit auf Transparenz. Als Beispiel nennt Erich Harsch, Vorsitzender der Geschäftsführung von dm, die hauseigenen Textilmarken Alana und Pusblu: „Online finden interessierte Kunden den sogenannten Pfadfinder. Mit ihm ist es möglich, die Lieferkette bis zum Ort der Produktion beziehungsweise des Anbaus der Rohstoffe zurückzuverfolgen.“

So erfahren Kunden, dass die Baumwolle für einen Kinderbody von Pusblu etwa zum Großteil in Indien angebaut wird. Daraus entstehen dann in Bangladesch Stoffe und Garne – bei einem Industriepartner, der faire Arbeitsbedingungen nach internationalen Branchenstandards bietet und sich in Projekten gegen Altersarmut engagiert.

Um höchstmögliche Nachhaltigkeit bei den vielen Lieferanten des Handels­unternehmens durchzusetzen, sei das stetige Gespräch mit den Herstellern nötig, sagt Harsch. Er räumt aber auch ein, „dass wir nicht bei jedem Produkt und jedem Hersteller in der unmittelbaren Zukunft das System des Pfadfinders realisieren können, auch wenn dies erstrebenswert ist“.

Entscheidend ist bei allen Unterschieden in den einzelnen Branchen und Beispielen offenbar eines: Nachhaltige Lieferketten müssen vorausschauend geplant werden. Das heißt: Nicht nur der geeignete und kostengünstigste Lieferant muss gefunden werden, sondern auch derjenige, der ein gutes Zertifizierungsmodell besitzt.

Doch manch ein Unternehmen sieht sich in diesem Punkt für die Zukunft noch nicht optimal aufgestellt. Das ist das Ergebnis einer Studie von Roland Berger mit dem Titel „Lieferkettenstrategie – Supply Chain Planning 4.0“.

„Mit ihren bisherigen Methoden können Unternehmen die Wünsche ihrer Kunden immer seltener korrekt vorhersehen – politische und wirtschaftliche Unsicherheiten, immer individualisiertere Produkte sowie neue Technologien wie der 3D-Druck erschweren die mittel- und langfristige Planung solch komplexer Strukturen wie Lieferketten“, erklärt Carsten Bock, Autor der Studie.

Unternehmen bräuchten daher eine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Keine einfache Aufgabe – doch die Beispiele zeigen, dass viele Firmen sie sehr ernst nehmen. Im eigenen Interesse wie auch im Interesse ihrer Kunden.