Auch wenn das Wirtschaftswachstum im Sommer an Schwung verloren hat und sich für das letzte Vierteljahr 2012 rückblickend eine schwächere Entwicklung ablesen lässt, zeigt sich die deutsche Volkswirtschaft in einem schwierigen Umfeld weiter robust. Insgesamt hat sich das solide Wirtschaftswachstum der letzten zwölf Monate größtenteils positiv auf das Insolvenzgeschehen im Unternehmenssektor (wie auch bei den privaten Verbrauchern) ausgewirkt. Dennoch machen sich die Schleifspuren der europäischen Staatsschuldenkrise bemerkbar, so dass die Entspannung der Insolvenzsituation bei den deutschen Unternehmen nicht mehr ganz so stark ausgefallen ist wie im Zuge der wirtschaftlichen Erholungsphase in den Jahren 2010 und 2011. Mit 29.500 Unternehmensinsolvenzen ist die Zahl der Insolvenzverfahren gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres (30.120 Fälle) um 620 Fälle zurückgegangen. Dies entspricht einem Rückgang um 2,1 Prozent – etwas weniger als in den beiden Vorjahren (2011: minus 6,1 Prozent; 2010: minus 2,6 Prozent).
Zurückgegangen ist auch die Zahl der Verbraucherinsolvenzen. Während 2011 103.250 Fälle registriert wurden, mussten 2012 nur noch 101.500 Verbraucher einen Insolvenzantrag stellen – ein Rückgang um 1,7 Prozent. Damit nähert man sich wieder der Marke von 100.000 Verbraucherinsolvenzen an, die 2007 erstmalig überschritten wurde. Seit 2009 wurden stets mehr als 100.000 insolvente Verbraucher gezählt. Nach Angaben der Bundesbank profitierten die privaten Haushalte in diesem Jahr vor allem von der günstigen Lage des Arbeitsmarktes sowie von kräftigen Einkommenssteigerungen. Insgesamt wurden von den Amtsgerichten 156.200 Insolvenzen registriert. Damit wurde der Wert von 2011 (159.580 Fälle) um 2,1 Prozent unterschritten. Auch die Zahl der sonstigen Insolvenzen, die sich aus Insolvenzen ehemals Selbstständiger, Insolvenzen natürlicher Personen als Gesellschafter sowie Nachlassinsolvenzen zusammensetzen, ist zurückgegangen: 2012 beliefen sich die sonstigen Insolvenzen auf 25.200 Fälle (2011: 26.210 Fälle; minus 3,9 Prozent).
Rückgang in den neuen Bundesländern deutlich stärker
Im regionalen Vergleich fällt vor allem auf, dass zwar sowohl in West- als auch in Ostdeutschland ein Rückgang der Unternehmensinsolvenzen verzeichnet wird, allerdings ist der Rückgang in den neuen Bundesländern wesentlich ausgeprägter als in den alten. So ging die Zahl der Unternehmenszusammenbrüche im Osten von 5.280 Fällen im Vorjahr auf aktuell 4.920 Fälle zurück. Dies entspricht einem Rückgang um minus 6,8 Prozent. In den alten Bundesländern sank die Zahl der unternehmerischen Insolvenzverfahren um gerade einmal 1,0 Prozent (2012: 24.840 Fälle; 2011: 24.580 Fälle). Dagegen ist die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im Westen etwas stärker zurückgegangen als im Osten. In den alten Bundesländern wurden nur noch 80.600 Verbraucherinsolvenzen registriert, nachdem es 2011 noch 82.270 Fälle waren – ein Rückgang um 2,0 Prozent. In den neuen Bundesländern hat die Zahl der Verbraucherinsolvenzen nahezu stagniert: Mit 20.900 Verbraucherinsolvenzen wurden nur 0,4 Prozent weniger Fälle gezählt als im vergangenen Jahr (20.980 Fälle).
Die durch Unternehmensinsolvenzen verursachten Schäden für die Insolvenzgläubiger haben im Vergleich zum Vorjahr, als noch eine deutliche Entspannung der Insolvenzsituation und weitaus weniger große Firmeninsolvenzen verzeichnet wurden, merklich zugenommen. Die Schäden aus Insolvenzen summieren sich 2012 auf 38,5 Mrd. Euro. Im Vergleichszeitraum 2011 belief sich die Insolvenzschadenssumme auf insgesamt 21,5 Mrd. Euro.
Die ermittelte Schadenssumme beruht zum Teil auf Schätzungen und Hochrechnungen. Eine exakte Berechnung der Schäden für die Gläubiger und die Öffentlichkeit ist äußerst komplex, da von den Insolvenzgläubigern nicht alle offenen Forderungen in voller Höhe angezeigt werden und sich zudem nicht zweifelsfrei feststellen lässt, inwiefern Rückflüsse an Teile der Gläubiger erfolgt sind. Davon abgesehen ist die Aufforderung an die Gläubiger zur Anmeldung ihrer Ansprüche üblicherweise zum Zeitpunkt der Erfassung des Verfahrens noch gar nicht erfolgt, so dass sich die exakte Höhe der Forderungsverluste frühestens zwei Jahre nach Eröffnung des Verfahrens ermitteln lässt.
Die Hochrechnung wird durch weitere Quellen untermauert. Das Statistische Bundesamt beziffert die voraussichtlichen Forderungen für die ersten acht Monate 2012 allein bei unternehmerischen Insolvenzen auf 28,9 Mrd. Euro. Gegenüber dem Vorjahr (12,6 Milliarden Euro) entspricht dies einem Anstieg um rund 130 Prozent. Der Pensionssicherungs-Verein (PSVaG), der die Betriebsrenten und Rentenanwartschaften der Arbeitnehmer vor dem Verlust infolge einer Insolvenz des Arbeitgebers versichert, erwartet eine deutlich steigende Zahl an Versorgungsberechtigten, so dass die Mitgliedsunternehmen 2012 rund 912 Millionen Euro zu zahlen hatten. Zum Vergleich: 2011 waren dies noch rund 560 Millionen Euro. Die Zahlen zum Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit deuten ebenfalls auf einen spürbaren Anstieg der Insolvenzschäden hin.
Deutlich mehr „Großschäden“
Ursächlich für diese Entwicklung dürfte vor allem die 2012 erheblich höhere Zahl an Großinsolvenzen sein. Insbesondere die großen Insolvenzen in den Segmenten erneuerbare Energien und Automobilzulieferer sowie die Zusammenbrüche namhafter Unternehmen wie Schlecker oder Neckermann zogen Schäden in Milliardenhöhe nach sich. Dabei trifft es nach wie vor private Gläubiger weitaus härter als die öffentliche Hand. Die Schäden für private oder gewerbliche Gläubiger beliefen sich im Jahr 2012 überschlägig auf 26,2 Milliarden Euro (2011: 15,4 Milliarden Euro), während öffentliche Gläubiger 12,3 Mrd. Euro (2011: 6,1 Milliarden Euro) an offenen Forderungen registrieren.
Derweil sind die Zahl der betroffenen Gläubiger und die individuellen Forderungsbeträge bei großen Firmenzusammenbrüchen – wie dem der Schlecker Unternehmensgruppe – in der Regel deutlich höher als bei Insolvenzen mittelständischer Unternehmen. Dementsprechend stieg die durchschnittliche Schadenssumme je Insolvenzfall im Jahr 2012 auf 888.000 Euro, nachdem es im Vorjahr nur 511.000 Euro waren.
Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste
Die Zahl der Arbeitsplätze, die aufgrund der Insolvenzen verloren gehen oder bedroht sind, hat gegenüber dem Vergleichszeitraum 2011 um 46,6 Prozent zugenommen – von 236.000 auf rund 346.000 Arbeitnehmer. Dies ist in erster Linie auf die Insolvenz einiger großer, namhafter Unternehmen wie Schlecker zurückzuführen. Gleichwohl bewegt man sich dabei noch auf einem vergleichsweise moderaten Niveau. Zum Vergleich: Die Zahl der drohenden Arbeitsplatzverluste lag 2012 rund 100.000 Arbeitnehmer unter dem Mittelwert der letzten zehn Jahre (rund 450.000 drohende Jobverluste).
Die allgemeine Arbeitsmarktlage ist immer noch gut, allerdings sind zunehmend die Auswirkungen der europäischen Rezession zu erkennen. Die Bundesagentur für Arbeit meldete im Oktober, dass die Zahl der Erwerbstätigen 2012 bei rund 41,85 Millionen lag – 322.000 Personen mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig wurden 2.753.000 Personen ohne Arbeit registriert. Dies waren im Vergleich zum Oktober 2011 ein Prozent oder 16.000 mehr Arbeitslose.
Deutlich wird: Auch wenn sich die Zahl der Insolvenzen 2012 reduziert hat – die wirtschaftlichen Schäden und die Arbeitsplatzverluste haben zugenommen.